Von heißen Quellen und Riesenkakteen– Niederkalifornien mit dem Fahrrad Teil 3
Land: Mexiko
Von San Felipe bis Coco’s Corner
Draus gelernt: Bei Sturm ist es besser mit Zelt zu zelten.
Drüber gelacht: Eisblockhacker ist ein Job in Niederkalifornien
Schönstes kleines Wunder: Heiße Quellen
Gesichtete Tiere: Geier, Kojoten, Delfine
Geradelte Tage: 2 1/2
Geradelte Kilometer: 208
Durchschnittliche Kilometer pro Tag: 83,2
Insgesamt geradelte Kilometer: 26.496
Letzten Blog verpasst? Hier kommt er: Wind, Wüste und Salzwolke – Baja California mit dem Fahrrad Teil 2
Blog in English: Hot springs and giant cacti – Cycling Baja California Part 3
Niederkalifornien mit dem Fahrrad Teil 3. Es ist ein Sonntag und früh morgens sind die Straßen noch wie leer gefegt. Und wieder weht der Wind von hinten rechts! Dass der ewige Westwind und noch einmal richtig ärgern würde, wissen wir nun noch nicht. Heute lassen wir uns gemütlich anschieben.
Bald erreichen die das Tal der Giganten (Valle de los Gigantes). Hier wachsen hundertjährige Cardon Kakteen. Waldbrände gibt es keine und Kakteen sind sehr resistent, daher werden sie unglaublich alt. Ich traure einen Moment um die beiden kleinen Kakteen, die ich als Studentin ohne Gartentalent auf meiner Fensterbank versehentlich umgebracht habe.
Was wir hier sehen sind bis zu 20 Meter hohe und 25 Tonnen schwere „Cardones“ (Patchycereus pringlei). Cardones sind enge Verwandte der berühmten Saguaro (Carnegiea gigantea). Das sind die grünen Riesen mit Armen und Stacheln, die man aus Bugs Bunny und Road Runner kennt. Bei den Cardones wachsen die Arme oftmals schon aus den unteren 20 Zentimetern der Pflanze, während bei den Saguaros die Arme aus etwa der Mitte der Pflanze treiben. Die beeindruckendsten von ihnen sollen in einer privaten Farm stehen, die US$ 10 Eintritt verlangt. Wir geben uns mit der Flora am Straßenrand zufrieden und sind nicht schlecht beeindruckt.
Links von der Straße ziehen sich noch gut 60 Kilometer südlich von San Felipe „Campos“ hin. Immer wieder verweisen die Schilder dorthin. Campo Los Amigos, Campo Buenavista, Campo Santa Maria und wie sie nicht alle heißen. Was wir ursprünglich für Campingplätze halten, sind aber kleine Kommunen, in denen vor allem pensionierte US-Amerikaner leben. Nach einem Leben der harten Arbeit reicht ihre Pension zwar nicht für ein Häuschen am Strand der USA, aber für einen Trailer oder gar ein Haus hier im Süden reicht es dennoch.
Heute Morgen musste alles schnell gehen, also gab es nur eine Banane zum Frühstück. Als wir in Ejido Delicias einen Laden erreichen, beschließen wir, Frühstück und Mittagspause zusammenzuschmeißen und die Zeit mit Karten spielen zu verbringen.
Was wir hier noch nicht wissen ist, dass dies der letzte Punkt im ganzen Bundesstaat ist, an dem wir Handyempfang haben. Die nächsten 10 Tage würden wir von einem wackligen W-Lan Netz zum nächsten springen. Hier am Tante-Emma Laden sehen wir sie auch endlich – die Einwohner der Campos, zumeist US-Amerikaner in zu kurzen Shorts.
Eiswürfel sind hier der Verkaufshit Nummer Eins. Gefolgt von Light Bier. Neben der Kassiererin arbeitet ein Mann den ganzen Tag daran, riesige Eisblöcke in kühlboxgerechte Brocken zu verwandeln.
Um 13 Uhr beschließen wir, dass es nun genug mit der Mittagspause ist. Der Wind ist kühl und die Sonne erträglich. Die Kakteen werden etwas seltener, dafür gibt es mehr kahle Bäume und überraschend grüne Büsche.
Ocotillo Kakteen-Büsche (Familie der Fouquieriaceae) die bis zu sieben Meter in die Höhe ragen, nehmen immer mehr Platz ein. Diese bestehen aus nichts als Ästen und Stacheln. Nur nach einem Regen kommen Blätter und Blumen dazu.
Am Straßenrand hält ein Wagen, ein Mann pinkelt in die Büsche, der nächste winkt mich heran. Ich setze mein empörtestes Gesicht auf. Der Typ erwartet doch nicht allen Ernstes, dass ich jetzt anhalte und seinem Kumpel beim Pinkeln zusehe?
Von hinten ruft Roberto „Hallo, wie schön dich zu sehen!“. Anders als ich hat er unseren Bekannten Said direkt wiedererkannt, der anhält um uns zu begrüßen, sein Mitfahrer nutzt die Möglichkeit einfach für eine Pipipause. Kennengelernt haben Said ihn bei Abel in der „Oasis“, wo wir vorgestern übernachtet haben. Ich tue so, als sei mein empörter Gesichtsausdruck pure sportliche Anstrengung und setze mein freundlichstes Grinsen auf als wir näher kommen.
Wir quatschen eine Weile, dann muss Said weiter. „Bis zum nächsten Mal!“, ruft er.
Wir können das Dörfchen Puertecitos schon fast sehen, als wir das „Cowpatty“ erreichen. Hier wird mit Bier und Hotdogs geworben. Einfach weiterradeln? Keine Chance! Wir quatschen mit dem Besitzer Richard, Barkeeper Guillermo (Momo) und einigen der Gästen.
Die meisten von ihnen wohnen zumindest für einige Monate im Jahr in der Gegend. Außer Momo kommen sie alle ursprünglich aus den USA. Momo ist selbst Reiseradler und nutzt die vier Sommermonate im Jahr, in denen die Bar schließt, um Jahr für Jahr in die Karibik zu radeln. Eine Woche noch, dann startet er. Stammgast Tom ist ganz begeistert von unseren Geschichten und lädt uns zu unseren Hotdogs und einem Bier ein. Wir quatschen noch eine Weile, dann machen wir uns schnell auf ins Dorf.
PPuertecitos ist bekannt für seine heißen Quellen. In drei naturbelassenen Pools liegen sie direkt am Meer. Bei Flut sind die Pools überschwemmt und man merkt man von den heißen Quellen nichts mehr. Bei Ebbe sind die oberen beiden Pools viel zu heiß zum baden.
Das Ziel ist es also, genau dazwischen anzukommen und je nach Lust und Laune zwischen den drei Pools zu wechseln. Im Cowpattys gibt es einen Tidenkalender, laut welchem wir schon etwas spät dran sind.
Das Dorf besteht aus ein paar Häuschen, festen Wohnwagen-Wohnungen und einem Zeltplatz. Clara, die Besitzerin des Zeltplatzes, des einzigen Restaurants, einer der beiden Läden und der Dorfbibliothek (von der Größe einer Telefonzelle), ist außerdem Besitzerin der heißen Quellen und kassiert dafür Eintritt. Ihre Familie waren die ersten festen Siedler der Gegend und sie haben sich über die Jahre ein kleines Emporium aufgebaut.
Wir feilschen nicht gerne mit dem Preis, aber US$ 20 finden wir für einen schattigen Zeltplatz schon etwas happig. Schlussendlich bietet und Clara einen Rabatt an. Feste Preise gibt es nicht, Clara sagt dafür wanken die Preise für Wasser und Strom zu sehr. Wir nutzen weder das eine noch das andere. Auch mit Rabatt hat sie an uns einen riesigen Gewinn gemacht.
Wir stellen die Räder einfach am Strand ab und laufen den Kilometer zu dem Quellen. Tatsächlich – Chance verpasst. Der untere Pool ist eisig und der obere viel zu heiß. Dazwischen finden wir einen winzigen Pool mit genau der richtigen Temperatur. Ein Paar aus San Diego setzt sich mit dazu, wir passen gerade eben so alle vier hinein. Wir verstehen uns sehr gut mit Jose und Luz und schieben unsere Räder gleich nach dem Baden unter ihre Nachbarspalapa. Mehr Fotos und Informationen zu Puertecitos und den heißen Quellen gibt es in Robertos Artikel Three unknown jewels of the Baja California.
Palapas sind etwas sehr typisches fürs Zelten hier in Mexiko. Besonders am Strand gibt es viele davon. Eine Palapa ist im simpelsten Fall ein kleiner Sonnenschirm mit festem Stamm und einem Dach aus getrockneten Palmblättern.
Dazu kann ein betonierter Boden kommen, oder ein, zwei Holzwände, ggf ein Picknicktisch oder ein Grill. Es gibt auch Gruppenpalapas unter die eine ganze Pfadfindertruppe Platz finden könnte. Abends hört endlich der Wind auf und wir hören den Ruf der Kojoten.
Der Wind nimmt den Morgen über wieder kräftig zu. Allerdings weht er heute nicht mehr von hinten, sondern direkt von der Seite. Mal von vorn rechts, mal von hinten rechts. Laut Karte ist „El Huerfanito“ das einzige Dorf auf dem Weg. Etwa 1 ½ Kilometer links von uns am Strand sehen wir ein paar Häuser und Trailer, aber an der Hauptstraße gibt es nicht ein (intaktes und bewohnbares) Gebäude.
Das von den Einheimischen versprochene Restaurant entdecken wir nicht. Da wir aber einen ziemlich straffen Hügel hinter uns haben und nun müde sind, schieben wir die Räder über eine Waschbrettpiste bis hinunter an den Strand, wo die Fischer und eine leerstehende Veranda zum Ausruhen zeigen.
Roberto hält ein kleines Nickerchen, da kommt Rosalito um die Ecke und lädt uns zu sich ein. Ihr Mann Hector und sie wohnen schon seit über 30 Jahren an den Wochenenden hier. Nun ist Rosalito in Rente und die Beiden verbringen fast das ganze Jahr in ihrem Strandhaus. Sie kennen die Gegend ganz genau. Rosalito ist es auch, die die Gruppe Delfine im Meer entdeckt. Es ist toll, ihnen zuzusehen, aber für Fotos sind sie leider viel zu weit weg.
Wir trinken Eiswasser und quatschen, da kommt die quirlige Nachbarin Olivia um die Ecke. Ihr Mann Pete und sie wollen uns alle zum Mittagessen einladen! Pete ist ein 90-jähriger Italo-Amerikaner, der sehr lustig drauf. Olivia ist pensionierte Gefängnislehrerin und spezialisiert sich jetzt auf Heilkunde mit Farbentherapie und negativen Elektronen.
Als wir weiterziehen wird mir wieder bewusst, dass das langsame Reisen eine viel intensivere Art ist, Land und Leute kennenzulernen. Noch heute morgen war El Huerfanito ein kleines Dorf auf der Karte. Heute ist es der Ort, wo unsere neuen Freunde wohnen, die sich schon auf unseren nächsten Besuch freuen.
Der Wind weht immer stärker und stärker und es ist nicht einfach, vorwärts zu kommen. Wir kämpfen uns von einer Leitplanke zur nächsten und klammern uns bei jedem vorbeifahrenden LKW am Lenker fest. Zum Glück liegt nicht viel weiter das Restaurant „5 Islas“, in dem wir Pause machen und mit dem Besitzer und seinem Sohn quatschen.
Es ist ein langer Tag, doch wir erreichen den Dorfladen „Rancho Grande“ von Bahía San Luis Gonzaga noch vor Sonnenuntergang. Wir sind beide ziemlich geschafft und hungrig. Eine Kombination die nach Zickenkrieg schreit.
Nach drei Minuten des wenig harmonischen Einkaufs stürme ich mit den Worten „Dann mach den Scheiß doch selber“ aus dem Laden. Kurze Version unseres dramatischen Abends: Wir irren beide getrennt im Dunkeln gut 2 Kilometer über Waschbrettpiste zum Strand und suchen einander, Roberto allein mit den Einkäufen, ich mit allen Wasserbehältern. Jeder denkt, der andere habe ihn allein sitzen gelassen.
In Wirklichkeit suchen wir beide einander im Dunkeln zwischen Palapas, Containern und Häuschen. Nach einer guten Stunde finden wir einander wieder und das Missverständnis klärt sich auf.
Heute haben wir eine super Palapa mit drei Holzwänden, die den direkten Wind von uns abhalten. Wir beobachten eine 1A Mondaufgang fast überm Meer und übernachten heute mal ohne Zelt, denn so können wir die Sterne angucken bis wir einschlafen. Klingt romantisch? Dachten wir auch. Bis der Wind morgens um eins ganz leicht dreht. Mehr Fotos von Bahía San Luis Gonzaga und vom Mondaufgang gibt es in Robertos Artikel Three unknown jewels of the Baja California
Der Rest der Nacht geht milde ausgedrückt eher unruhig zu. Die Wände der Palapa kreieren eine Art Windtunnel und Wind plus feiner Sand fliegen uns direkt von unten in die Nasenlöcher. Am nächsten Morgen ist die ganze Palapa mit einer Sandschicht überzogen. Und wir sehen aus wie paniert.
Der Strand sieht einladend aus, ich will einen Pausentag einlegen, ausruhen, gut essen, im Meer schwimmen und die Sonne genießen. Doch bei dem Wind traue ich mich ohne dicken Fleecepulli gar nicht aus der schützenden Palapa. Das ist natürlich auch nicht so ganz das Richtige fürs Radeln, denn um Rückenwind handelt es sich leider nicht. Wir beschließen einzupacken, zum Laden zu radeln und dort herumzufragen, ob jemand weiß wie die Windvorhersage aussieht.
Stattdessen verbringen wir den Morgen vorm Laden mit Luis, der an den letzten 30 Kilometern Asphalt arbeitet, die dieser Straße noch fehlen. Im Dezember 2016 wollen sie fertig sein sagt er. Luis wartet auf seine Mitfahrgelegenheit, wir warten auf besseres Wetter.
Er hat eine große Flasche Cola, wir haben einen Becher und ein Deck Spielkarten. Luis bingt uns „Crazy Eight“ bei und wir ihm „Shithead“. Ein paar Soldaten halten für ihre Einkäufe. In dieser Gegend gibt es sehr viele Militärkontrollen, was für uns natürlich klasse ist, denn wir fühlen uns gleich viel sicherer. Die Soldaten sind sehr hilfsbereit und neugierig und zwei von ihnen gesellen sich zu uns, einer spielt eine Runde mit.
Um 13.50 Uhr weht der Wind gleich viel schwächer. Heute geht es so leicht bergauf, dass wir gar nicht merken, wie wir an Höhenmetern gewinnen. Nach gut 20 Kilometern ist der Asphalt am Ende. Nun folgen etwa 30 unbefestigte und eher holprige Kilometer.
Der Wind hat sich ganz gelegt und wir schwitzen nicht schlecht. Nach dem ersten holprigen Kilometer erreichen wir einen „Comedor“ (Essensstand), an dem Lili und Sonia den Arbeitern von früh bis spät warme Mahlzeiten vorbereiten. Auch für externe Besucher sind sie vorbereitet, also gönnen wir uns je eine Portion Huhn mit Gemüse. Hier im Schatten lässt es sich gut aushalten und Roberto legt ein kurzes Mittagsschläfchen ein, während ich mit Sonia quatsche.

…und dann Schweiß, schmerzende Pobacken und volle Konzentration. Aber im Dezember 2016 sollen auch diese 30 Kilometer fertig sein und es wird weit mehr Verkehrt befürchtet als bisher.
Sie kommt ursprünglich aus Guadalajara und arbeitet nur deshalb hier, weil ihre Eltern die Besitzer sind und sie beim besten Willen niemanden sonst finden konnten, der gewillt ist, lange Schichten zu arbeiten in einer einsamen Gegend in der Wüste mit seltenen Eimerduschen, wenig Strom, ohne Handyempfang und ohne Internet.
„Die meisten brechen nach spätestens einer Woche ab“, sagt sie, aber es habe auch schon einige gegeben, die noch am gleichen Tag umgedreht und zurück nach Hause getrampt sind.

Schatten und Essen reichen uns als Gründe für ein Päuschen. Manchmal frage ich mich, wie wir überhaupt jemals voran kommen.
Wir sind beide ziemlich platt, aber nach einer Stunde setzt Roberto sich auf, murmelt „Let’s get this shit over with“ und setzt sich seinen Helm auf. Bergauf in der heißen Sonne über holprige Wege, irgendwie sind wir nicht richtig motiviert.
Doch die Landschaft macht alles sofort wieder wett. Es gibt mehr und mehr „Torotes“ (Elephant Trees oder Elefantenbäume), die ich so toll finde. Diese Bäume haben einen richtig dicken und knolligen Stamm und viele verflochtene Äste die immer schlanker werden. Blätter tragen sie zurzeit keine. Dazwischen liegen viele große Felsbrocken herum und immer wieder ein paar Kakteen.
Und dann sehen wir doch tatsächlich endlich unseren ersten Kojoten! Zwei mal überquert er die Straße, dann kommt ein Auto und der Kojote verschwindet.
Heute ist ein sehr kurzer Radeltag, denn nach knapp 40 Kilometern erreichen wir Coco’s Corner, wo der berühmte Cocos lebt. Eine Legende unter den Baja-Roadtrippern. Aber dazu mehr im nächsten Blog sowie in Roberto’s portrait Coco from Coco’s Corner.
Ganz toll – wir sind begeistert – macht weiter so, aber denkt daran , dass ihr zu bestimmter Zeit den Absprung nach Old Germany finden müsst!!! Alle warten auf euch und sind voller Vorfreude! Waren gerade bei Karin u. Winni und haben ein Gläschen Wein genossen.
Viele liebe Grüße an das junge Ehepaar von
Sabine und Wilfried
Vielen Dank ihr beiden, nun habt ihr auch jede Menge gute Gründe um nochmal nach Mexiko zu kommen! 🙂 Lasst es euch gut gehen, wir trinken ein Tecate für euch mit und ihr einen deutschen Wein 🙂 Bis bald,
Annika und Roberto
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