Radreisebericht Von Emei Shan nach Zhaotong

Roberto feels like a celebrity in China. Everybody wants to take pictures with us.

Roberto das Supermodel. Jeder will ein Foto mit ihm.

Von Emei Shan nach Zhaotong, Dezember 2012 und Januar 2013

 

Wir fahren bei Nebel in Emei Shan los. Zum zweiten Mal geht es durch Leshan, an der gigantischen Buddhastatue vorbei, die Nacht verbringen wir im Zelt. Am nächsten Morgen sind Zelt und Räder von einer dicken Frostschicht bedeckt. Ich ziehe mir den Schal über den Kopf und ab geht’s durch Bambuswälder, an leeren Reisfeldern vorbei und durch Kohl, Salat und Zuckerrohrfelder. Jedes kleine Stückchen Land ist bebaut oder bewirtschaftet. Die Straße wird kleiner und kleiner und der Verkehr lässt schnell nach. Durch kleine und noch kleinere Dörfer radeln wir an erstaunten Erwachsenen und winkenden Kindern vorbei. Am Abend erreichen wir ein Bauernhaus mit einem brach stehenden Feld daneben. Als der Bauer uns sieht, fällt ihm vor Verwunderung ein Stück Zuckerrohr aus dem Mund. Wir erklären mithilfe des Ohnewörterbuches und selbst gekrakelten chinesischen Schriftzeichen von „Zelt“ „eine Nacht“ und „Ich spreche kein chinesisch“ unser Vorhaben und der Bauer lädt uns spontan in sein Haus ein.

Annika and a river

Am Jangtsekiang. Dachte ich zumindest. Erst später fand ich heraus, das dies ein anderer Nebenfluss war.

Ein paar Nachbarn kommen zum Abendessen vorbei, wir haben die Schüssel gerade halb leer gefuttert, als ein weiterer Nachbar hereinstürmt. Er plappert ununterbrochen, scheint nervös und grinst uns immer wieder an. Ehe wir uns versehen, hat er uns die Stäbchen aus der Hand gerissen und Roberto an der Schulter gepackt. „Kommt“, deutet er uns an. Wir blicken zu unseren Gastgebern, der Bauer hat schon seine Handschuhe in der Hand. Der nervöse Nachbar fährt uns einen Kilometer weiter in eine Art Schule, wo er alle, die ein paar Brocken Englisch sprechen, zwingt, mit uns zu sprechen. Ein weiteres Mal wird zu Abend gegessen und als wir fertig sind, platze ich fast. Unser Bauer fährt uns auf seinem Motorroller zurück und schon um 21 Uhr liege ich im Bett der Bäuerin, jede die Füße zum Gesicht der Anderen hin gewandt. Roberto schläft im Bett der Bauern und dieser auf der Couch. Im Haus ist es nicht wärmer als draußen und wir freuen uns sehr über einen Eimer heißes Wasser zum waschen. Als wir um 7 Uhr morgens aus dem Bett steigen, klirren in Kitzingen gerade die Sektgläser. Wenn wir schon Neujahr in China verschlafen, dann sind wir doch immerhin kurz in Gedanken beim Feuerwerk daheim wenn es dort soweit ist (im Winter sind es sieben Stunden Zeitverschiebung zwischen Deutschland und China).

Monk in the Taoist Temple of Yibin

Taoistischer Mönch im Tempel von Yibin

Wieder ist es eiskalt als wir losfahren, doch diesmal dauert es lange bis wir uns warm gefahren haben. Meine Finger sind eiskalt und zum ersten Mal wünsche ich mir einen schön langen Anstieg.

Abends kommen wir in Yibin an, einer „winzigen“ Stadt von nur einer Million Einwohnern. Wir finden ein kleines und günstiges Zimmerchen, in dem wir gleich das nasse Zelt quer durchs Badezimmer aufhängen.

beautiful view on a river

Ausblick vom Hühnerfuß-Restaurant

Aus einem kurzen Zwischenstopp wird ein längerer Aufenthalt, denn Robertos Weisheitszähne melden sich nach einem Jahr Ruhe wieder. Was wir in zwei Monaten China gelernt haben ist: es gibt einfach alles auf der Straße zu kaufen. Auch Zahnarztpraxen findet man einfach am Straßenrand. Wir suchen nicht lange, bis wir vor einem „Schaufenster“ stehen. Innen liegen drei Patienten auf nebeneinander aufgereihten Zahnarztstühlen, an der Wand sitzen die wartenden Patienten, im hinteren Teil des kleinen Raumes steht ein Tisch mit Papieren und an den Wänden hängen Vitrinen mit Gebissabdrücken. Roberto seufzt und betritt die kleine Praxis. Er hat Glück: eine Ärztin spricht etwas Englisch. Die Weisheitszähne kann sie zwar nicht herausnehmen, aber sie verpasst ihm drei Tage lang je eine Spülung (eine Spülung kostet unter 3 €). Bis heute wissen wir nicht, was genau da passiert ist, aber die Schmerzen bleiben aus.

Wir machen einen weiteren Ausflug und besuchen zum dritten Mal Leshan, um wieder Mal unsere Visa zu verlängern und ich finde endlich heraus, warum meine Finger so geschwollen sind: ich habe mir trotz Handschuhen am Neujahrsmorgen Frostbeulen geholt! Nun ist es offiziell: wir müssen schnell in den Süden kommen.

Acht Tage sind wir für die 631 Kilometer unterwegs. Die Hügelchen von Chengdu nach Yibin verwandeln sich schnell in handfeste Berge und statt Palmen und Sonnenschein radeln wir durch Nebel und kleine Schneefelder.

Wir lassen den Jangtsekiang hinter uns und tauchen wieder in Bambuswälder und Nebelschwaden ein. Nach wenigen Kilometern verlassen wir die Provinz Sichuan und erreichen Yunnan. Auf den ersten Blick kein großer Unterschied: Mandarinenbäume, Felder und Bambus. In einem Restaurant posen wir wie so oft für Fotos mit den anderen Besuchern und den Besitzern. Ausländer sieht man hier nicht alle Tage. Als Dankeschön bekommen wir je einen gelben wabbeligen Hühnerfuß. Die Krallen wackeln hin und her. Wir blicken einander unsicher an und wagen dann einen vorsichtigen Bissen. Es schmeckt wie es aussieht: nach Gummi mit Hühnernachgeschmack.

Annika eats Chicken foot

Jammi!

Wir erreichen die kleine Stadt Yanjin kurz vor Sonnenuntergang. Roberto will schnell weiterfahren, aber ich bleibe vor einem kleinen Hotel stehen. „Wir können ja zumindest nach dem Preis fragen“, schlage ich vor. In Gedanken stehe ich schon unter der heißen Dusche. Der Preis passt und wir tragen Sack und Pack ins warme Zimmerchen. Den Luxus haben wir uns verdient. Am nächsten Morgen sehen wir in den chinesischen Nachrichten, dass es irgendwo im Norden der Provinz Yunnan einen Erdrutsch gegeben hat. Vermutlich wurde dieser durch Schnee und Eis ausgelöst. Erst später erfahren wir, dass auch die deutschen Medien darüber berichteten.

Earth slide

Erdrutsch

Unsere Räder sind komplett vom Matsch der letzten Tage bedeckt und Bremsen und Schaltung streiken, so holen wir die Fahrrad-Zahnbürsten heraus und reinigen unter den Augen aller Passanten erst einmal Ketten, Kettenblätter und Kabel vom Dreck. Gegen Mittag machen wir uns auf den Weg durch die Stadt. Am Stadtrand ist die Straße von Rikschas und Männern mit Bambusrucksäcken gefüllt. Wir quetschen uns durch die Massen und schon stehen wir vor dem Desaster: der Erdrutsch!

The new main road

Die neue Hauptstraße

Die Straße ist komplett von einem Berg Erdbrocken bedeckt. Links der Straße verläuft zwanzig Meter tiefer ein Fluss und die Einwohner haben einen Trampelpfad unter den Ruinen der Stelzenhäuser am Flussufer entlang getreten. Zwei Männer helfen uns, Räder und Taschen gute 50 Meter den rutschigen Weg entlang zu tragen. Wir sind heilfroh, an einem Stück am anderen Ende des Trampelpfades anzukommen.

Everybody wants to help Roberto

Jeder bietet Roberto seine Hilfe an

Wer weiß, wie lange die Ruinen über uns dem Druck der Erdmassen noch stand halten. Später erfahren wir, dass der große Erdrutsch aus dem Fernsehen etwa 20 Kilometer weiter östlich stattgefunden hat, dieser war scheinbar kleiner.

We hoped that the poles would stay strong and hold the ruins of the houses

Wir hoffen, dass die Pfosten halten und die Ruinen nicht einfallen

Wir wollen den Einwohnern helfen, aber scheinbar haben Polizei und Einwohner die Lage im Griff, also machen wir uns auf den Weg.

With our strong helpers

Unsere starke Hilfe

Zum ersten Mal kommt die Sonne heraus und ich kann die Handschuhe ausziehen. Die Landschaft ist wunderschön: Bambus und Laubwälder, unzählige Wasserfälle und Flüsse und die Berge um uns herum halten uns bei Laune. Als wir die „Waschanlagenstraße“ erreichen schlägt mein Herz höher. So etwas habe ich noch nie gesehen. Von einem Überhang stürzen sich Wasserfälle herunter bis auf die Straße. Asphalt gibt es keinen mehr, nur das Kopfsteinpflaster kann dem ständigen Drück des Wassers standhalten. Die Autofahrer stellen ihre Autos unter den Wasserfällen ab und lassen sich den Schlamm von den Motorhauben spülen.

Many waterfalls splashed down on the pavement

Die Waschanlagenstraße

Auch wir testen unsere wasserdichte Ausrüstung und ich beschließe, irgendwann im Sommer wieder nach Yunnan zu kommen.

Am späten Nachmittag fragen wir einen Mann nach dem Weg. Er stellt sich als Polizist heraus und schickt uns auf die parallel verlaufende Schnellstraße. Unsicher grinsen wir die Frau an der Mautstelle an, die uns gleich durchwinkt. Es ist fast dunkel als mein Hinterreifen Luft lässt. Wir schieben zurück zu einer Hütte am Straßenrand, an der LKWs Luft und Wasser auffüllen können und unter den Augen aller Anwesenden legen wir los: Rad entpacken, umdrehen, Reifen ausbauen, Mantel abnehmen, Schlauch nach Loch prüfen, flicken und alles wieder anbringen.

We felt like celebrities in China every time that somebody took a picture of us

“Wer ist das? Was machen die hier?” Man kommt als Tourist schnell in Kontakt in China

Wir sind ein eingespieltes Team und die Prozedur ist schnell geschafft. Dennoch ist es dunkel als wir fertig sind. Der Besitzer der Hütte bietet uns einen Zeltplatz neben seinem Haus an, wo uns im Wind gleich noch ein Zeltgestänge bricht. Während wir auch dieses im Dunklen flicken kommt er zu uns und bietet uns an, bei ihm im Haus zu übernachten. Wir nehmen sein Angebot gerne an.

Tree tunnel

Baumtunnel

Der nächste Tag ist der anstrengendste unserer Chinareise. Nach zehn Kilometern geht der Anstieg los. Von 800 auf 2300 Höhenmeter strampeln wir uns. Die Sonne lässt sich nicht mehr blicken, der Nebel wird dichter, die Sicht liegt unter 50 Metern und der Wind ist eisig.

Happy people on the way

Wir pausieren nie länger als fünf Minuten, da wir in unseren nassgeschwitzten Klamotten sonst an Ort und Stelle festfrieren würden. Meter um Meter quälen wir uns hinauf. Ich drehe meinen Kopf zum Ausatmen, da mir sonst mein eigener Verdunstungsnebel die Sicht blockiert. Nach sechzig Kilometern erreichen wir den erlösenden Tunnel. Dahinter ist der Nebel weniger dicht und wir erkennen die Schneewehen auf den Feldern um uns herum.

Ice fall

Eisfall

Ich halte die Augen nach einem Zeltplatz offen, denn es ist spät, als Roberto einen riskanten Vorschlag hat. 17 Kilometer sollen es noch bis in die nächste Stadt sein, dort könnten wir in einer Pension unsere Klamotten waschen und trocknen.

Das Angebot klingt verlockend, doch meine Beine sind weich und zittrig von der langen Bergauffahrt. Wenn es die ganze Zeit bergauf geht, brauchen wir lockere drei Stunden, wenn der Weg flach ist schaffen wir es leicht in Einer.

Pausing with a family

Pause bei einer Familie

Die Idee klingt verrückt, denn es ist schon fast dunkel, aber die Batterien unserer Lampen sind voll. Wir tauschen einen vielbedeutenden Blick aus – los geht‘s. Nach all den Monaten zusammen können wir die Blicke und Seufzer des jeweils anderen besser lesen als Worte.

Chinese children

Den Kindern ist bei den Temperaturen noch lange nicht kalt

Es geht sowohl bergauf als auch bergab, aber wir sind so sehr damit beschäftigt, uns auf die dunkle Straße zu konzentrieren, dass wir die Anstrengung kaum bemerken. Der Halbmond liegt im Himmel wie eine Schale und die ersten Sterne blicken auf uns herab, als wir nach 80 Kilometern und fast acht Stunden auf dem Rad die Ausfahrt erreichen. Ich laufe wie ein Cowboy nach drei Wochen im Sattel.

2 in 1 heater and table - I love them!

2 in 1 Heizung und Tisch! So eine grandiose Erfindung!

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