Mit dem Rad durch Alaska: Tok Cutoff per Fahrrad
Land: Alaska, USA
Von kurz vorm Eureka Summit bis Tok
Draus gelernt: Mit hungrigen Radreisenden sollte man nie Essens-Scherze machen!
Drüber gelacht: Die Elchbullen-Imitation
Schönstes kleines Wunder: Unsere Engel Deena und Sasha
Größte Herausforderung: Bargeld
Geradelte Tage: 3 1/4
Geradelte Kilometer: 327,14
Durchschnittliche Kilometer pro Tag: 100,65
Insgesamt bis Tok geradelte Kilometer: 19.968
Here’s the English Version: Cycling the Tok Cutoff in Alaska.
Hier ist Teil 1 unseres Alaska Abenteuers: Mit dem Rad durch Alaska: Glenn Highway per Fahrrad.
Weiter geht es durch niedrige Nadelbäume und Büsche. Unsere Wasserflaschen fällen wir an einem Tümpel auf. Als Roberto den Wasserpumpen-Schlauch aus dem Wasser zieht, kleben vier Blutegel daran.
Wir beschließen sogleich, dieses Wasser nur im absoluten Notfall zu trinken. Nun bin ich aber beruhigt, dass ich mich nicht mit diesem Wasser gewaschen habe!
Es sind acht relativ einfache Kilometer bis zum Hochpunkt des Glenn Highways, dem Eureka Summit. Oben angekommen treffen wir erneut auf eine Gruppe von Radtourleitern, die den Touristen die Räder und das Gepäck hin und her fahren.
Sie bieten uns von ihrem Wasser an und wir können das Blutegel-Wasser nun glücklicherweise wegkippen. Wir frühstücken im Roadhouse (Kaffee mit Nachfüllen für $0.25) und radeln dann weiter.
Es bleibt heiß, aber nun geht es mehr bergab als bergauf. Am Grizzly Country Store halten wir erneut und unterhalten uns mit Besitzern Chris und Maria. Die beiden leben viele Jahre im Grizzly-Land und haben jede Menge Bärengeschichten auf Lager.
Die meiste Zeit des Tages sind wir die einzigen Menschen auf der Straße. Um uns herum sehen wir nichts als Nadelbäume und ab und zu einen See. Am Tolsona Wilderness Campground machen wir Feierabend. Besitzer Curtis, der sich selbst als „verrückten alten Texaner“ bezeichnet, spendiert uns ein kleines Spray voll Mückenzeug.
Nicht, dass wir nicht genug davon haben, wir schleppen drei Tuben Mückenmittel. Doch gegen die Alaska-Mücke hilft nichts dergleichen. Da muss was härteres her. Was Curtis uns gibt, ist 98% Deet. Das Zeug ist so giftig, dass er uns warnt, nach Anwendung lieber nicht das Zelt oder die Computertastatur anzufassen, da das Deet Plastik wegätzt. Und wir schmieren uns das Zeug lachend auf Haut und Haare, so schlimm sind die Mücken.
Weit ist es nicht mehr bis Glennallen. Beim Hin- und herüberweisen zwischen verschiedenen Konten habe ich es in den letzten Wochen irgendwie geschafft, all unser Geld versehentlich aufs Sparbuch zu bunkern, von wo aus zwei Online-Überweisungen (von je 3-5 Tagen) nötig sind, um das Geld mit einer Karte abheben zu können.
Nun haben wir schlappe $4 übrig (später finde ich noch einen Notfall-20er). Also beschließen wir, die übrigen Neuseeland Dollars umzuwechseln, doch keine der beiden Banken kann uns helfen.
Während Roberto erneut zur Wells Fargo Bank geht, sitze ich draußen und überlege. Da kommen mir Deena und Sasha von der First National Bank of Alaska entgegen. Deena drückt mir (einfach so!) $60 in die Hand. Einfach, weil sie sich vorstellen kann, wie in uns ein bisschen die Verzweiflung aufkommt und weil sie eben helfen möchte.
Ich weiß gar nicht was ich sagen soll, stottere ein bisschen herum und umarme sie schlussendlich. Sasha sagt, sie habe ein Konto bei der anderen Bank und wer ein Konto habe, darf dort auch Geld wechseln.
In der Zwischenzeit hat Roberto eine andere Kontoinhaberin gefunden und erfolgreich (wenn auch zu einem fürchterlichen Kurs) Neuseelanddollar in US-Dollar umgewechselt. Ich gebe Deena ihre $60 zurück, doch sie bleibt dabei, die sind für uns. Wir sind völlig perplex von so viel Hilfsbereitschaft.
Nach alldem ist es schon ziemlich spät. Außerdem schickt uns das gelbe Trinkwasser vom Camping (oder war es die Menge an Parmesankäse und Wurst?) immer wieder aufs Klo, also beschließen wir, einfach in der Stadt zu zelten. Das kostet stolze $27. Der Preis kann locker mit den edlen RV Parks in Neuseeland und Australien mithalten. Aber daran können wir nun nichts ändern. Ein Klo in der Nähe brauchen wir heute.
Am nächsten morgen geht es mir viel besser und ich stopfe fröhlich einen Rentier-Hotdog in mich rein, bevor wir dem Richardson Highway nach Norden folgen. Für alaskanische Verhältnisse ist es nur ein Katzensprung bis zur Kreuzung mit dem Tok Cutoff. Nun sinds nur noch 200 km bis nach Tok.
Verkehr gibt es nicht viel, doch die wenigen motorisierten Fahrzeuge sind zum ganz großen Teil Campervans, Campingbusse, umgerüstete Schulbusse, Wohnwagen, Wohnmobile und „Monster“. Monster kannte ich vor Alaska auch noch nicht.
Was das ist? Nun, man stelle sich einen Tourbus vor, in den eine ganze Blaskapelle samt Instrumenten passt, oder der Abschlussjahrgang einer Dorfschule. Nun nehme man das größte Auto das man finden kann (ein Hummer oder ein fetter Jeep) und hänge es hinten an diesen Bus dran.
Am Auto können je nach Geschmack auch zwei schicke und teure Mountainbikes baumeln. Man stelle sich diesen Bus jetzt ohne Schulklasse oder Blaskapelle vor und auch ohne Sitzreihen.
Stattdessen nehme man eine Edelküche, zwei Kühlschränke, einen bis zwei Tiefkühler, ein vollausgestattetes Bad, einen Großbildfernseher mit Surround Sound und Wii, dazu Klimaanlage und jede Menge Schnickschnack für das kleine Schoßhündchen.
In diesem Bus wohnen gewöhnlich ganze zwei Personen. Der Besitzer eines Campingplatzes flüsterte uns einmal zu, dass so ein Monster ab einer halben Million zu kaufen und ab $500 pro Tag mietbar ist.

Wie immer ist der Zeltplatz ein Schotterparkplatz mit Picknickbank. Stattdessen stellen wir das Zelt lieber einfach in die Büsche.
Dazu kommen natürlich Mengen an Benzin, die man sich gar nicht vorstellen kann. Dieses Ungestüm samt Jeep dahinter vorwärts zu bekommen, ist eine Sache, aber die ganzen Elektrogeräte und Haushaltsgeräte am Laufen zu behalten, muss wirklich ein großes Vermögen kosten.
Überhaupt, in den USA stehen Dinge manchmal gar nicht mehr im Verhältnis zur Realität. Verschwendung ist Alltag. Und für mich, die in Deutschland aufgewachsen ist, ist das nicht leicht zu verstehen. Ich bekam als Kind schon einen auf den Deckel wenn ich beim Zähneputzen das Wasser laufen ließ, oder beim Backen nicht den letzten Tropfen Eiweiß aus der Schale pulte.
Hier kostet eine riesige Packung Cornflakes $5, aber ein Fünferpack nur $15. Also her mit dem Fünferpack. Und wenn sich dann herausstellt, dass die Kinder diese Cornflakes gar nicht mögen, oder dass sie in drei Monaten ablaufen, oder dass der Mann die gleiche Idee hatte und schon einen Fünferpack zu Hause stehen hat, dann kommt das Ganze eben weg.
Wir radeln so dahin und unterhalten uns prächtig. Das liegt daran, dass wir sowohl einen riesigen Seitenstreifen haben, als auch fast keinen Verkehr. So können wir endlich nebeneinander fahren und einander auch verstehen. Wir quatschen und singen und quatschen mehr. Das ist nicht nur kurzweilig, sondern hält auch die Bären fern.
Heute weht der Wind von hinten, es ist bewölkt und warm und wir radeln schnell und recht einfach. Es geht sanfte Hügel rauf und runter und zu unserer Rechten sehen wir die schneebedeckten Gipfel des Wrangell Nationalparks. Vor uns hält ein Auto. Ein älteres, molliges kanadisches Paar hat einen Elch entdeckt, der im See ein Bad nimmt. Wir parken unsere Räder gegen ihr Auto und gucken. Plötzlich reißt die Frau ihren Mund auf und stöhnt ganz laut. Der Mann steigt ein. Die beiden stehen gut einen Meter voneinander entfernt. Wir sind sehr verwirrt. Bald erklärt er uns dass das der Ruf der Elchbullen ist und prompt taucht auch ein weiterer Bulle auf, der den ersten verscheucht.
Wir radeln weiter, es sind heute fast 120 km, dabei sind wir doch so spät gestartet.
Am nächsten Tag treffen wir ganz unverhofft auf Deenas Tochter Rachel und ihren Freund Anthony. Die beiden ziehen von Glennallen nach Minnesota, und sie freuen sich sehr uns zu treffen und schenken uns etwas Obst und Wasser.
Wir radeln weiter. Der Wind weht genauso stark wie am Vortag, heute allerdings aus der genau entgegengesetzten Richtung: von vorne! Ich kämpfe und nichts kann mich so recht motivieren. Dann sehen wir eine andere Radlerin: Martine aus Quebec, Kanada. Sie ist allein unterwegs mit einem super Rad und den vermutlich vollsten Taschen, die ich je gesehen habe. Wir würden noch eine ganze Weile mit Martine weiterradeln und finden bald heraus, dass sie wirklich für jede Situation vorbereitet ist.
Martine will die Nacht in Tok verbringen. Das sind nochmal 100 km! Doch wenn wir uns ihr anschließen können wir einen Zeltplatz teilen und Bares sparen. Also wird in die Pedale getreten. Ich bin müde, hungrig und mürrisch und bald auch launisch. Als wir es endlich nach Tok geschafft haben, bin ich völlig platt.
Abends nehmen wir am Pfannkuchen-werfen teil (wer seinen Pfannkuchen in einen Eimer werfen kann, kriegt gratis Frühstück), was mir gar nicht gefällt. Was für eine Verschwendung. Aber immerhin werden die geworfenen Pfannkuchen wieder verwendet.
Ich setze mich um die Ecke und suche W-Lan. Der vorübergehende Verwalter des Platzes läuft kurz darauf mit einem Tablett voller Pfannkuchen an mir vorbei. Mein Magen knurrt nun schon seit mehreren Stunden immer lauter.
„Willste?“
„Klar! Aber sind das nicht die vom Boden?“
„Die hier schon. Aber die da …“ er zeigt geheimnisvoll auf drei Pfannkuchen in der Ecke des Tabletts, „die sind alle im sauberen Eimer gelandet“.
Ich freue mich wahnsinnig und das Wasser läuft mir im Mund zusammen, während ich zugreife. Im letzten Moment reißt der Mann das Tablett weg.
„Hahaha war ja nur ein Scherz. Die sind alle für den Hund“. Der Mann dreht sich um und geht. Ich kann mir gerade noch so eine Träne verkneifen.
Mir zerbricht das Herz. Scheiß Hund. Mein Magen knurrt lauter als je zuvor. Wenn der Mann nicht da wäre, hätte ich mir einfach ein paar staubige Pfannkuchen gemopst. Boden hin oder her. Hund hin oder her. Solche Scherze macht man nicht mit Radreisenden!!!
Eine gute halbe Stunde später kommen Martine und Roberto wieder. Sie haben im Dorf eingekauft und es ist nach 22 Uhr als wir endlich zu Abend essen.
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