San Francisco’s streets
Wo die Geier ihre Kreise ziehen: Mit dem Fahrrad durch Kalifornien Teil 2
Land: USA
Von San Francisco bis Avila Beach
Draus gelernt: In den USA werden allergiefreie Süßigkeiten verteilt
Drüber gelacht: So viele dreijährige Chewbaccas!
Schönstes kleines Wunder: Zebras und Seeelefanten
Größte Herausforderung: Rotz und Wasser
Geradelte Tage: 7
Geradelte Kilometer: 466
Durchschnittliche Kilometer pro Tag: 66,6
Insgesamt bis Avila Beach geradelte Kilometer: 25.315
Letzten Blog verpasst? Hier kommt er! Mit dem Rad durch Kalifornien Teil 1: Von Riesenbäumen und Dreadlocks
Blog in English: Where the vultures are circling: Cycling Central California
Dank Jesse und Jeff lernen wir San Francisco’s Tätowiererwelt kennen. Jeff zeigt uns die Gegend und uns bleibt noch Zeit um drei von Robertos Freunden aus Grundschule, Unterstufe und der Uni zu treffen.
. In San Francisco treffen viele Realitäten aufeinander. Limousinen und Obdachlose, Touristen und Alteingesessene, Surfer, Hippies, Businessleute und Großeltern.
Wir starten wie immer bei strahlendem Sonnenschein. Seit wir die kalifornische Grenze überquert haben, ist das Wetter permanent großartig. San Francisco zu verlassen ist – im Vergleich zu Städten wie Honolulu und Seattle – kein Problem.
Ein paar Hügel und wir sind raus. Doch ich muss sagen, dass unser neues Smartphone und der kleine rote Punkt in der Karte da eine recht große Rolle gespielt haben, zumal wir in der ganzen Stadt keine Fahrradkarte finden konnten.
Der Wind schiebt uns voran, doch die Sonne geht mittlerweile schon um 17 Uhr unter und so gerne wir den Wind weiter nutzen wollen, wir müssen einen Zeltplatz finden. Also verlassen wir den Highway und stoppen beim erstbesten Gebäude, der Feuerwehr.
Die Frauen und Männer dort sind meist diejenigen, die jeden Schleichweg kennen und wir hoffen auf einen Gehimtipp. Stattdessen dürfen wir das Zelt direkt neben dem Feuerwehrhaus aufstellen. Super!
Trotz der trockenen Hitze war das Gelände voller Sandsäcke. Man bereitet sich auf einen heftigen El Niño vor.
Am frühen Nachmittag des nächsten Tages erreichen wir Santa Cruz. Am Stadtrand schlüpfen wir in unsere improvisierten Kostüme. Es ist Halloween! Leider ist sonst niemand verkleidet und wir kommen uns ziemlich albern vor.
Wir rollen in die Innenstadt um Brot und Milch zu kaufen und da sind sie: Hunderte von zuckersüß verkleideten Kindern aller Altersklassen mit ebenso verkleideten Eltern, die in den Geschäften Süßigkeiten einsammeln. Die Anzahl an Chewbaccas ist überraschend groß. Ein Geschäft hat sogar allergiefreie und glutenfreie Süßigkeiten! Zucker ist trotzdem drin.
Wir können uns gar nicht satt sehen und bummeln bestimmt zwei Stunden durch die Fußgängerzone. „Wartet erstmal auf heute Abend! Da geht’s erst richtig rund!“ hören wir immer wieder. Eigentlich wollten wir bis zum nächsten Staatscamping radeln, doch stattdessen radeln wir zu einem privaten Zeltplatz.
Keine 3 Kilometer von der Innenstadt entfernt liegt „Bobs Pine Grove Campground“. Schilder gibt es keine und es ist ziemlich offensichtlich dass man hier aus einem großen privaten Grundstück einen Zeltplatz improvisiert hat. Wir sind die einzigen Touristen.
Die meisten Nachbarn hier wohnen vorübergehend permanent im Zelt, da sie einfach keine feste Bleibe finden können. Der Wohnungsmarkt ist absolut überlaufen. Geschichten die wir auch schon in San Francisco gehört haben. Die Preise sind völlig unrealistisch in die Höhe getrieben, doch es finden sich immernoch vierzig Interessenten für eine mickrige Bleibe am Stadtrand.
Unser Zeltnachbar Keenan ist aus dem mittleren Westen nach Santa Cruz gezogen. Einen Job hat er bekommen, als ihm noch genau für eine Woche Erspartes blieb. Grade nochmal gut gelaufen. Der Verdienst ist in Ordnung, es reicht für Essen, Trinken, Benzin, jede Menge Bier und den Zeltplatz. Es würde auch für eine kleine Wohnung reichen, wenn es denn genügend davon gäbe.
Abends gehen wir also in die Stadt und man hat uns nicht zu viel versprochen. Wir sehen Vampire, Zombies, sechs Waldos (von Wo is Waldo), die komplette Muppets Band, zig sexy Katzen und Tiger, die Ninja Turtels, drei Deutsche in Lederhosen (keiner davon deutsch, aber einer spricht deutsch), Piraten, Haie, Darth Vader, Super Mario und die ganze Go Kart Gang und so ziemlich alle Superhelden die es gibt.
Die Leute haben sichtlich unglaublich viel Zeit und Geld in ihre Kostüme gesteckt und wir kommen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Sowas gibt es wirklich nur in den USA, Halloween ist einfach großartig. Es ist fast Mitternacht als wir wieder beim Zeltplatz ankommen.
Am nächsten Tag geht es dementsprechend spät weiter. Die ganze Zeit konnten wir den tollen Radrouten Schildern folgen, doch heute fehlt eines und wir fahren einen ordentlichen Umweg.
Die letzten Kilometer ab Marina radeln wir durch eine großartige Dünenlandschaft, doch mit dem wenigen Tageslicht haben wir keine Augen für die Schönheit der Natur. Links und Rechts umgeben uns Zäune, zelten ist keine Option. Wir müssen weiter und zwar schnell.
Ein bisschen geht es noch am schönen Strandradweg entlang bis ins Zentrum Montereys, dann biegen wir zum Zeltplatz ab und müssen erstmal steil bergauf. Mittlerweile ist es stockduster und wir sind heilfroh als wir klitschnass geschwitzt in einem Stück am höchsten Punkt der Stadt ankommen.
Der Zeltplatz ist vorübergehende Heimat vieler Obdachloser, die aus der Stadt gescheucht wurden. Ohne Auto zählen sie als Wanderer und zahlen somit $6 pro Nase auf dem Hiker Biker Platz statt gut $30 für einen kompletten Zeltplatz.
Eine Nachbarin hat für drei Nächte vorbezahlt und nun fehlt es ihr an Essen. Wo sie in vier Tagen übernachten soll, weiß sie noch nicht. Ihr Zelt ist undicht, aber immerhin hat sie eines. Ein andrer Nachbar schläft in seiner Hängematte. Irgendjemand hat eine Kiste dritter Wahl Äpfel dagelassen, von denen sich jeder bedienen kann. Wir teilen unser Gemüse, Nudeln, Müsliriegel und ein paar Tütengerichte.
Die Dusche ist eisig, riecht nach Zigarettenrauch und ist total verdreckt. Wir gehen früh zu Bett, denn es nieselt leicht.
Wir stehen erst nach acht auf und sind trotzdem die ersten. Normalerweise ist der halbe Zeltplatz gegen sechs auf den Beinen. Der Regen will nicht nachlassen. Wir packen alles ein wie es ist, radeln runter in die Stadt und setzen uns in ein trockenes Café, wo wir unser Glück Last Minute bei Couchsurfing versuchen. Leider erfolglos.
Hier quatschen wir uns auch mit Susan und ihrem Bruder Frank fest. Die beiden sind auf einem Kurzurlaub und haben die Nacht (im Auto) auf dem gleichen Zeltplatz verbracht wie wir. Noch heute fahren sie zurück nach Avila Beach, wo Susan nun wohnt.
Das Kratzen in meinem Hals vom Vortag hat sich mittlerweile ausgebreitet und eine fette Erkältung ist im Anmarsch. Zurück zum Zeltplatz fahren wir ganz bestimmt nicht.
Bis zum nächsten Zeltplatz sind es gut 50 Kilometer und die Strecke soll landschaftlich sehr anspruchsvoll sein. Das ist natürlich nichts für einen Regentag. Oder für mich in meinem Zustand. Also nehmen wir meine Erkältung als super Ausrede für das billigste Motelzimmer der Stadt.
Das war nicht immer so. Früher hätten wir nicht einfach so ein Motelzimmer für uns selbst gezahlt, auch wenn es das billigste ist. Aber früher waren wir auch vier Jahre jünger. Damals verschwanden kleine Wehwehchen noch von ganz allein und die Motivation kam ebenfalls von allein. Heute brauche ich mehr. Einen Eistee für die gute Laune, eine $2- Tasse Tee im Café gegen die kalte Rotznase, ein extra Päuschen für den ewig schmerzenden Nacken, ein Motelzimmer mit heißer Dusche für die Erkältung.
Es tut mir gut, mir ab und zu vorzumachen, ich hätte ein „normales“ Leben. Wenn wir ins Kino gehen oder auf ein Bier in die Kneipe, dann vergesse ich manchmal, dass draußen die gepackten Räder parken. Dennoch, was ist aus unserer Abenteuerlust geworden? Manchmal bin ich enttäuscht von mir selbst.
Doch heute ist mir das alles egal. Das schlechte Gewissen verfliegt im Moment in dem ich unseren Zimmerschlüssel in der Hand halte. Ich genieße die heiße Dusche, drehe die Heizung auf und koche noch mehr Tee. Wir gucken ein paar Filme und ich schnäuze eine halbe Rolle Klopapier voll. Heute habe ich keine Lust auf Selbstkritik. Heute ist ein Tag für Faulheit und Selbstmitleid. Und wir machen das Beste draus.
Der Regen lässt bald nach und morgens knallt die Sonne wieder. Das Motel war das billigste bisher in ganz Nordamerika, aber dennoch, eine zweite Nacht konnten wir uns wirklich nicht leisten. Ich fühle mich etwas ausgeruhter und beschließe, einfach langsam zu fahren. Es geht ziemlich gut bergauf und bergab, doch wir haben alle Zeit der Welt. In dieser Gegend gibt es viele Zeltplätze und wir teilen eine normale Tagesstrecke in zwei Tage auf. 50-60 Kilometer Tagestouren, daran könnte ich mich gewöhnen.
Die Aussicht ist wirklich spektakulär. Manche Autofahrer halten an jedem einzelnen Aussichtspunkt (und davon gibt es wirklich viele), sodass wir am Ende einen dicken grauen Mann in Lederjacke alle zehn Minuten beim fotografieren überholen. Wir stoppen nur selten, denn nassgeschwitzt wie ich bin, will ich nicht im kalten Wind halten und mich noch mehr erkälten.
Das Meer ist hier tiefblau und die Felsen stürzen sich in die Tiefe. Dazu die Algenteppiche und ab und zu eine Robbe. Ein paar Aussichtspunkte später beobachten wir ein paar Robben beim surfen!
Am Pfeiffer Big Sur Zeltplatz angekommen treffen wir gleich wieder auf John und Daniel vom Vortag. Kurz darauf trudelt auch Josh ein. Ihn kennen wir nun schon seit unserem ersten Hiker Biker Platz.
Wir dachten, er sei schon weit vor uns, denn seine Durchschnittsgeschwindigkeit ist enorm, doch Josh hat überraschend eine Timer Funktion an seiner Handykamera entdeckt und hält nun – man glaub es kaum – noch öfter als zuvor.
Hannah, Kate und Ben die wir seit Santa Cruz kennen, treffen wieder lange nach Sonnenuntergang ein. „Mal wieder verfahren“, seufzen sie. Keine Ahnung was es da zu verfahren gibt, es ging den ganzen Tag am Highway entlang. Ich glaube in Wirklichkeit kommen sie so spät an, weil dann kein Ranger mehr in der Hütte am Platzeingang sitzt und sie sich das selbst einchecken und bezahlen einfach sparen.
Die Männer trinken Tee und diskutieren wie man die Welt retten kann. Ich gehe heute früh schlafen, mein Kopf besteht aus mehr Rotz als Hirn.
Der nächste Tag ist sonnig und voller großartiger Aussichtspunkte, doch mir ist das herzlich egal. Sogar einen Wasserfall der im Meer mündet, lassen wir links liegen. Ich habe heute einfach keine Lust oder Energie für irgendwelche Stopps. Ich will nur ankommen.
Heute übernachten wir bei Murdock, einem warmshowerer der nicht radelt. Murdock ist Feuerwehrmann und ist hat sich dieses Jahr einen Lebenstraum verwirklicht: den Kilimandscharo zu erklimmen.
Außerdem ist er der wohl größte American Football Fan, den ich kenne, denn das komplette Haus ist voller San Francisco 49er Souvenirs, Artikel und Postern.
Sogar seine beiden Stammplätze aus dem Stadion hat er ergattert, als dieses renoviert wurde. Die Stadionsitzplätze ersetzen nun eine Couch. Murdock kocht uns Pasta und nach Essen, Dusche und einem Gläschen Rotwein sieht die Welt gleich besser aus.
Sogar ein Meal-ready-to-eat (MRE) kriegen wir mit. Das ist das Notfallnahrungsmittel für Feuerwehrmänner und –frauen, das auch im Militär viel gegessen wird. Zu kaufen gibt es das nirgendwo. Drin finden sich 4000 Kalorien in Form von Tortillas, Käsepaste, Bohnen mit Rindfleisch, Pulver-Cappuchino, Pulver-Limonade, Keksen und einer Tüte Apfelmus-Nachtisch, plus einer Chemie-Kochplatte in Form von einer Wärmeplatte, die bei Kontakt mit Wasser heiß wird und das Tütenessen aufwärmt.
Heute sehen wir einige Geier, die uns umkreisen. Hey, ich habe nur eine Erkältung! Kurz darauf werden wir von einigen knallorangenen Amerikanischen Monarchen Schmetterlingen begleitet. Dazu entdecken wir einige Kondore und jede Menge Seeelefanten, die sich am Strand ausruhen.
Die Jugendlichen spielen, die Babys und Erwachsenen schlafen, kratzen sich, werfen Sand auf sich und ihre Liegenachbarn und grunzen ab und zu. Ganze Strandzüge sind pickepackevoll mit diesen wunderbaren Kreaturen, bei denen ich sofort an den Seeelefanten „Seele-Fant“ aus dem Urmel denken muss. Außerdem überfahre ich um ein Haar eine Schlange.
Kurz darauf weiden zu unserer Linken Zebras zwischen den Kühen. Was es damit auf sich hat, wissen wir nicht. Das Klima passt allerdings gut. Heute ist scheinbar Tier-Tag, warum also nicht Zebras?
Heute zelten wir mit vier deutschen Wanderern. Zwei Männer mit Kinderwagen für die schweren Gepäckstücke, sowie ein Paar mit Rucksäcken, das für uns alle drei Flaschen Wein mitgebracht hat.
Den ganzen Vormittag lang geht es am Meer entlang. Wir radeln durch allerlei kleine Orte voller Cafés, Kunst, Surfshops, Strände und netter Leute. San Louis Obispo streifen wir nur kurz, dann biegen wir in Richtung Avila Beach ab.
Wir radeln hinunter zum Strand und warten mit einem Bier in der Hand auf Susan. Die Räder ziehen einige Aufmerksamkeit auf sich und bald unterhalten wir uns mit vielen anderen Besuchern.
Susan bekommt heute außerdem Besuch von ihrer Cousine Michele. Wir schmeißen alle zusammen und Roberto zaubert ein Wrap-Buffet. Die Nachbarn kommen mit mehr Bier und Wein vorbei und wir spielen „Tiere imitieren“, ein lustiges Kennenlernspiel aus dem hohen Norden Kanadas, bei dem man versucht, ernst zu bleiben, während ein anderer Mitspieler ein Tier nach Wahl imitiert.
Susan ist mit ihren drei Brüdern auf einer Farm mit Farmladen aufgewachsen. Sie liebt die Natur und ihre süße Hündin Olive. Ihr Dauergrinsen ist ansteckend und wir fühlen uns in ihrer kleinen Einzimmerwohnung wirklich pudelwohl.
Schon lange spielt Susan mit dem Gedanken, eine Radreise zu unternehmen und wir sind froh, ihr ein paar Fragen beantworten zu können.
Den nächsten Morgen verbringen wir vier wandernd im Montaña de Oro State Park, dann entspannen wir uns auf Susans Terasse im Jacuzzi, mit Blick auf den Sonnenuntergang am Strand. Wir hätten es wirklich nicht besser treffen können.
Ich denke zurück an den verrotzten und verregneten Tag in Monterrey. Dank des furchtbaren Wetters haben wir Susan überhaupt erst kennen gelernt. Das war es wirklich wert.
Pingback: Ab nach Mexiko: Mit dem Rad durch Kalifornien Teil 3 - Tasting Travels