Zu Hause in Tijuana
Blog in English: Tijuana, our home for a while
Letzten Blog verpasst? Hier kommt er: Ab nach Mexiko: Mit dem Rad durch Kalifornien Teil 3
Tijuana ist eine ganz besondere Stadt. Es gibt allerlei Kunst, Konzerte, eine Strandpromenade mit regelmäßigen Events, und die berühmte Baja Med Küche. Dennoch hat Tijuana ein eher negatives Image.
Das liegt in erster Linie an Filmen und Nachrichten. Banditen, Mafia, Drogen, Party und Gewalt sind in Hollywood Schinken zu sehen. Denn Parks, Ausstellungen, Tacos und Biergärten sind einfach nicht dramatisch genug.
In den 90ern gab es viele Probleme mit Mafia Gruppen, doch das ist nun lange Geschichte. Das einmal ruinierte Image wieder aufzumöbeln ist nicht leicht.
Immer wieder wurden wir in den USA nach dem „wohin“ gefragt. Die Antwort „Tijuana“ stieß oft auf entsetzte Blicke. „Muss das wirklich sein? Warum denn nicht lieber Texas oder New Mexico?“ kam dann oft. Oder: „Dann passt aber gut auf euch auf, Tijuana ist sehr gefährlich“.
Auf die Rückfrage, ob unser Gesprächspartner denn schonmal selbst vor Ort war, kam dann meist ein kleinlautes „Nein“ und ab und zu ein entsetztes „Natürlich nicht!“.
Das Ganze kommt uns ziemlich bekannt vor. 2012 standen wir an der Grenze zum Iran. Zuvor mussten wir uns mit allerlei gut gemeinten Warnungen auseinandersetzen. Von Krieg war da die Rede und von Waffen. Jeder, der schon einmal im Iran war, oder sich schlau gemacht hat, weiß dass es im Iran keinen Krieg gibt. Es gibt nicht einmal eine Reisewarnung. Wir fanden Land und Leute großartig und würden am liebten gleich wieder hinfahren. Und gleiches gilt für Tijuana.
Waffen sind im ganzen Land nicht erlaubt, nicht einmal die Grenzbeamten sind bewaffnet. Das dürfen nur Polizei und Militär. Mafiosis die sich Pistolen ins Land geschmuggelt haben, wollen damit andere Mafiosis bekriegen. Touristen sind für sie uninteressant.
Im Stadtzetrum wimmelt es nachts von Polizisten, es gibt Notfallsäulen wie an der Autobahn und eine Telefonnummer an die sich Touristen Tag und Nacht wenden können. Ich gebe zu, es kann passieren, dass Touristen ausgeraubt oder gekidnappt werden, aber das kommt in Tijuana nicht häufiger vor als in vielen anderen Großstädten.
Ich persönlich habe mich hier immer gut aufgehoben gefühlt, sei es allein oder in der Gruppe, tagsüber oder nachts.
Viel allein unterwegs bin ich dennoch nicht. Ein Teil von Robertos Familie wohnt hier. Und wenn ich von Familie spreche, dann meine ich die mexikanische Großfamilie von knapp hundert Leuten. Wir wohnen bei seinen Eltern und verbringen die ersten paar Wochen damit, allerlei Tanten, Cousins, Familienfreunde und Großonkel dritten Grades zu besuchen.
Und bei jedem Besuch wird uns ein anderer herrlich duftender Teller vorgesetzt. Abends gehen wir oft mit Robertos Freunden Bier trinken. Die Auswahl an Bars und Kneipen hier ist riesig und die lokalen Biere sehr lecker. Dass wir nicht je zehn Kilo zunehmen grenzt an ein Wunder.
Nach zwei Wochen zwischen Auto, Computer und Esszimmer vermisse ich dann doch die Natur und die Bewegung. Die Stadtparks sind weit weg und viele der Straßen extrem steil, auf Radeln haben wir nicht wirklich viel Lust. Also begleite ich Robertos Mutter Katyna zum Runtastik (Tanz und Aerobik auf dem Laufband), während Roberto zum Crossfit geht und wir beschließen wir einmal die Woche in die Natur zu fahren. Mehr ist nicht drin, denn Tijuana ist mit seinen knapp 2 Millionen Einwohnern ziemlich voll und es dauert eine halbe Ewigkeit irgendwo hin zu fahren.
Mir fehlen zunächst die Parks, Grünflächen, öffentliche Grills, Seen, Flüsse und Wanderwege. Die Kultur hier hat viel mit Indoor-Aktivitäten zu tun. Ein typisches Wochenende besteht oft aus Essen gehen, einem Kinobesuch, Klamotten shoppen in San Diego (incl 3 Stunden im Auto an der Grenze warten) und ein paar Bierchen in der Stadt. Das ist ziemlich viel Sitzen und ziemlich wenig Natur.
Und für mich als Deutsche ist das eine Verschwendung von Sonnentagen. Wir sind es ja gewohnt, jeden Sonnenstrahlen ausnutzen zu müssen, wer weiß wann der Nächste kommt. Doch in Tijuana ist Sonne Alltag. Die Tijuanansen verstecken sich lieber unterm Sonnenschirm oder in klimatisierten Räumen, während unsereins in Shorts und Flipflops am liebsten Tag und Nacht am Strand verbringen möchte.
Meckern und Schimpfen hilft nicht viel, also werden wir aktiv, melden uns bei Wandergruppen an, gehen im Park joggen, fahren immer wieder an den Strand und spazieren durchs Stadtzentrum.
Die Räder stehen währenddessen auf der Veranda und stauben ein. Von zu Hause bis ins Zentrum sind es knapp 300 Höhenmeter und 15 Kilometer und darauf habe ich einfach keine Lust. Zudem haben wir einen viel zu straffen Zeitplan, als dass wir es uns leisten könnten viel mit dem Rad zu fahren.
In Tijuana gibt es einige wenige Radspuren und viele Hügel, Bremshubbel und Standspuren die im Stau in extra Fahrspuren verwandelt werden. Radfahren hier ist nicht leicht, besonders die Busfahrer machen uns das Leben schwer. Ich muss ehrlich sein, da wir ein Auto zur Verfügung haben, mit dem wir schnell vom Besprechung zu Besprechung sausen können, sind wir einfach zu faul.
Wir verkaufen Werbeflächen in unseren neuen Radführern (Radreisen leicht gemacht für Mexikaner und Tijuana per Fahrrad für alle die Englisch verstehen) und Roberto verbringt die Tage zwischen Telefonaten, Besprechungen und Emails. Mir wird ein Job als Deutschlehrerin angeboten, den ich gerne annehme und zudem halten wir über zwanzig Präsentationen an privaten und öffentlichen Schulen, Unis, der Kunsthochschule, in einer Bar und einer Volkshochschule. Wir machen das gratis, da wir damit junge Menschen motivieren wollen, die Wochenenden in der Natur zu verbringen, statt Dummheiten zu machen. Mehrere kleine Unternehmen vor Ort sponsern uns diese Vorträge und Workshops, sodass die Kosten nicht an den Schulen sitzenbleiben.
Kurz gesagt: Langeweile kommt nicht vor.
Mitte Dezember kommt Familienbesuch aus Deutschland. Nun kommen wir endlich zum Tourist sein. Wir fahren an den Strand, essen Fischtacos bis zum Abwinken, gehen in den Zoo, kaufen Souvenirs im Zentrum und besuchen das Kultur- und Geschichtsmuseum. Weihnachten verbringen wir mit rund 30 Leuten in der Wüstenstadt Mexicali, gut zwei Stunden östlich von Tijuana. Dort wohnen Robertos Großeltern. In Mexicali ist es tagsüber noch richtig warm und es wird gegrillt und gequatscht.
Neujahr verbringen wir alle in Chiapas, im Süden des Landes, gemeinsam mit der anderen Seite der Familie (knapp 50 Leute). Roberto kann endlich die Kinder seiner vielen Cousins und Cousinen kennen lernen (in Mexiko der Einfachheit halber „Nichten und Neffen“ genannt) und wir verbringen eine super Woche in der Sonne.
Die Familie fährt weiter, um den Urlaub mit etwas Karibik abzuschließen, während wir zurück nach Tijuana fliegen, wo schwere Regenfälle und eine Kältewelle Teile der Stadt unter Wasser gesetzt haben.
Wie schon in Neuseeland falle ich in eine kleine Winterdepression, doch zum Glück sind wir zu beschäftigt um uns richtig fallen zu lassen. Nun kommt nämlich noch eine weitere Planung hinzu.
Roberto uns ich haben uns verlobt! Und nach langem Hin und Her entscheiden wir uns, alle Pläne an den Nagel zu hängen und in Tijuana zu heiraten. Warum, wann, wie und überhaupt, das erklären wir im nächsten Eintrag.
PS: Für andere mexikanisch-deutsche Paare habe ich hier eine Schritt-für-Schritt Anleitung zusammengestellt zum Thema standesamtliche Hochzeit in Tijuana.
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