Querbeet durch Kambodscha

Immer dem Stromkabel nach. Da brauchen wir wirklich keine Landkarte

Immer dem Stromkabel nach. Da brauchen wir wirklich keine Landkarte

Land: Kambodscha
Von Kratie nach Kampong Cham
Draus gelernt: Der einfachste Weg zurück zur Hautstraße führt am Stromkabel entlang
Drüber gelacht: Robertos Liebeserklärung an einen Sechsjährigen
Schönstens kleines Wunder: Ein letzes Bad im Mekong
Gegessen: Keine Käfer.
Größte Herausforderung: Den seltsamen braunen Blubbershake höflich herunterzuwürgen
Geradelte Tage: 1 1/2
Geradelte Kilometer: 130
Insgesamt bis Kampong Cham geradelte Kilometer: 10961,38
Reisetage von Bremen bis Kampong Cham: 640

Kambodscha, Juni 2013: Radreise durch Kambodscha Teil 2

Der Mekong Discovery Trail soll den Tourismus in Nordkambodscha beleben. Ich entfalte die Broschüre ein weiteres Mal. Wo in der Landkarte dicke Striche für breite Straßen sind und dünne für Schotterpisten, sehe ich hier nur kunterbunte Linien.

Robertos kurzfristige Reisbegleiterin

Robertos kurzfristige Reisbegleiterin

Manche gestrichelt, andere durchgehend. Gleich hinter Kratie verlaufen sich die Linien, die Karte ist zu Ende. Ich vergleiche die bunten Spaghetti-Straßen mit dem Foto von der Landkarte aus dem Gasthaus in Kratie. Irgendwie ähneln sich die beiden nicht so besonders. Google Maps sah nochmal anders aus. Aber Internet gibt es jetzt keines. Als oldschool Radler ohne Smartphone und Navi radeln wir eben drauf los. Was kann schon schief gehen? Solange wir links nicht die Schnellstraße kreuzen und rechts nicht in den Mekong fallen, radeln wir schonmal grob in die richtige Richtung. Das reicht fürs erste.

Wir haben die volle Aufmerksamkeit der Kinder und Kühe

“Iloooooo!” Wir haben die volle Aufmerksamkeit der Kinder und Kühe

Nach einen knappen Kilometer auf einem Sandhubbelweg direkt am Ufer höre ich vorbeipreschende LKWs. Keine 100 Meter parallel verläuft eine geteerte kleine Straße. Nichts wie rüber. Die Straße ist astrein. Nicht zu viel Verkehr, viele Dörfer, Reisfelder aber leider mal wieder kein Schatten. Wir pausieren an einer Tankstelle. Während ich unsere Wasserflaschen fülle, freundet sich Roberto mit einer Familie an, die Käfer pult.

Die freundliche käferpulende Familie

Die freundliche käferpulende Familie lädt uns noch auf ein Stück Wassermelone ein

Seelenruhig sitzen sie auf einem Bettgestell und einer alten Kühlbox gleich neben den Tanksäulen, picken einen der krabbelnden Käfer aus dem großen Käfertopf, rupfen ihm Flügel und Beine aus und legen ihn in einen Korb. Später werden die Insekten dann gegrillt und – wie wir noch erfahren würden – überall im ganzen Land verkauft und gegessen.

Eine Schale voller Käfer

Immer wieder springt ein Käferchen heraus, doch die geschulten Augen der Puler sammeln es gleich wieder ein

Die Sonne knallt. Wir radeln durch Felder und Dörfer, über Baustellen hinweg, an halbfertigen Brücken vorbei und sehen einen buddhistischen Tempel nach dem anderen. Pagoden werden sie hier genannt. Watts hießen sie in Laos und Tempel in Thailand. Für mein ungeschultes Auge ähneln sie sich jedoch alle.

Wem läuft da nicht das Wasser im Munde zusammen?

Wem läuft da nicht das Wasser im Munde zusammen?

Für die zweite Pause halten wir an einem Fruchtshakestand. Roberto fragt nach Melone. Wir bekommen zwei braune seltsam riechende Getränke mit Luftblasen. Mein erster Gedanke ist „gequirlte Kacke“. Doch nach ein paar Schlucken finden wir gemeinsam die Zutaten heraus. Fäkalien sind nicht dabei.

Die Farbe kommt von Kakaopulver. Der Gestank von Durian-Früchten und die Blasen, das ist rohes Eiweiß. Alles einzeln schmeckt gar nicht schlecht. Zusammengemischt wird es allerdings zu einer sehr gewöhnungsbedürftigen Mixtur. Der Strohhalm steht im Schaum. Das Glas will einfach nicht leerer werden. Ich kämpfe und trinke das Glas schließlich heimlich mit zugehaltener Nase fast auf Ex aus. Brrr.

Oben ohne und unten im Rock. Das ist kambodschanische Mode

Oben ohne und unten im Rock. Das ist kambodschanische Mode

Die Verkäuferin freut sich, als sie unsere leeren Gläser sieht. Sie hätte ihr Gesicht verloren, wenn wir sie darauf hingewiesen hätten, dass wir eigentlich Melone wollten. Dann schon lieber Nase zu und durch. Der Kultur zuliebe. Schnell ein paar Bissen Brot hinterher und weiter geht es.

Die Pagoden werden nun rar, stattdessen entdecken wir eine Moschee nach der anderen. Sie sind blankgeputzt und sehen aus, als seien sie erst gestern eröffnet worden. Die weißen Wände blenden mich. Die muslimischen Dörfer bestehen größtenteils aus Steinhäusern, während sich in den buddhistischen Dörfern viele Holz- und Bananenblatt-Bambus-Häuser dazwischen mischen.

Muslimische Kambodschaner auf dem Weg zur Moschee

Muslimische Kambodschaner auf dem Weg zur Moschee

Nach 60 Kilometern machen wir die dritte Pause. Strom gibt es keinen und das Eis in den Kühlboxen im Dorfcafé ist schon längst zu Wasser geschmolzen. Egal, auch eine lauwarme Fanta schmeckt besser als abgestandenes heißes Wasser oder gar Durian-Ei-Schoko-Shake. Am Nebentisch kichern ein paar Mädchen über ihren Eisbechern. Sie haben ihre Kopftücher bis tief in die Stirn gezogen. Gleich neben ihnen prangt das Geisterhäuschen das den Hausgeist der buddhistischen Cafébesitzer besänftigen soll. Man versteht sich.

Ein Taoist und eine Katholikin zwischen Muslimen in einem Buddhistischen Café

Ein Taoist und eine Katholikin zwischen Muslimen in einem Buddhistischen Café

Weiter geht es. Die Straße teilt sich immer wieder. Irgendwann ist der gute Straßenbelag zu Ende. Wieder kreuzt sich die Straße. Rechts liegt der Mekong, da können wir nichts falsch machen. Es wird noch staubiger und holpriger, doch das macht uns nichts aus. Moscheen und Pagoden wechseln sich nun ab. Die Kinder sind völlig aus dem Häuschen als sie uns entdecken. Viele rennen uns hinterher, andere rufen ununterbrochen „Ilo! Ilo! Ilooooo!“. Das soll Hello heißen. Der Englischlehrer des Dorfes hat wohl selbst noch etwas zu lernen.

Fahrradtransport in Kambodscha

Wir sind nicht die einzigen, die schwer schleppen

Auch alte Frauen, junge Mütter, stattliche Herren und Halbwüchsige winken uns aufgeregt zu. Ich radle dauerhaft einhändig. Wasser trinken, winken, Schweiß abwischen, winken, Kamera aus der Lenkertasche fischen, winken. Dazu wird „Ilo“ gebrüllt was das Zeug hält. In der Nähe von Schulen bekommen wir auch „What’s your name“ zu hören. Das beantworte ich. Auf „I love you“ antwortet stets Roberto. Ich muss jedes Mal kichern, wenn ich den bärtigen Dreißigjährigen auf seinem Rad sehe, wie er einem sechsjährigen Jungen „I love you too“ hinterherbrüllt. Aber man muss das Englisch lernen ja unterstützen.

Irgendwann gibt es sogar wieder Bäume

Irgendwann gibt es sogar wieder Bäume

Viele Männer tragen kurze rot-weiß karierte Wickelröcke, die meisten Kinder sind nackig. Wir überholen Radler die lebende Hühner, vermutlich tote Riesenschweine und allerlei Gemüse auf ihren wackligen Rädern transportieren. Fahrräder und Mofas als Lastentransportmittel zu bis an die Grenzen des Möglichen vollzupacken, ist in Kambodscha völlig normal. Unsere Räder wirken neben ihren eher handlich und leicht bepackt.

Nach knapp 100 Kilometern fangen wir an, uns nach einer Pagode umzusehen. Als Roberto für ein schnelles Foto anhält, kommt eine junge Frau auf mich zu. Bunny heißt sie und unterrichtet Englisch an einer Schule in der Nähe. Ich grinse. Die Aussprache der Kinder hat sich in den letzten Kilometern tatsächlich merklich verbessert. Bunny lädt uns ein, die Nacht bei ihr zu Hause zu verbringen. Wir freuen uns sehr über ihr Angebot. Bunny fragt ob wir schwimmen können und schickt uns dann direkt zum Mekong. „Da könnt ihr euch erstmal abkühlen“ sagt sie.

Überall Radfahrer. Wir fühlen uns pudelwohl

Überall Radfahrer. Wir fühlen uns pudelwohl

Wir parken die Räder und laufen durch ein paar Felder zum Ufer. Das Wasser ist kühl und die Strömung hält sich in Grenzen, man kann noch dagegen anschwimmen. Bald gesellt sich eine Gruppe Jungs zu uns, dann ein Bauer mit seiner Kuh. Er führt sie behutsam ins Wasser und schrubbt sie dann sauber während die Jungs um uns herum plantschen. Ein zweiter Bauer mit zwei weiteren Kühen gesellt sich zu uns und wir schwimmen mit ihnen bis die Sonne am anderen Ufer untergeht. Was für ein perfekter Abschied vom Mekong, der uns nun seit über 1300 Kilometern ein treuer Begleiter war.

Eine Kuh am Mekongufer

Noch grasen die Kühe am Ufer

Bunny lebt in einem Bambushaus auf hohen Stelzen. Zwei Räume gibt es: die Küche und den Wohnraum. Unter dem Haus stehen die Kühe. Mit Schöpfkelle und Waschlappen geselle ich mich zu ihnen und schrubbe ich mich voll angezogen unter Bunnys Haus ab. Zwei Frauen schauen neugierig zu mir herüber. Ich habe noch nicht so viel Übung darin, mich in der Öffentlichkeit zu duschen und stelle mich ziemlich dämlich an. Am Ende ist das Kleid klitschnass, dabei habe ich nicht einmal die Haare gewaschen.

Ein überwucherter Bach unterwegs

Ein überwucherter Bach unterwegs

Bunny kocht und ich mache einen Salat aus den Tomaten und Gurken die wir mitgebracht haben. Zum Abendessen kommen auch Bunnys Schwester, ihr Bruder, der Großvater und die Eltern vorbei. Ihren Verlobten wird Bunny erst im Januar wiedersehen. Er lebt in Südkorea, wo er mehr Geld verdienen kann als in Kambodscha. Nach dem Essen betrachten wir einen großen Stapel Familienfotos, dann legen wir uns schlafen. Der Verkehr ist gleich Null. Die Käfer krabbeln neben meinem Kopf, Fliegen und Mücken summen, draußen zirpen die Grillen. Vereinzelt hören wir ein paar Kuhfladen auf den Boden unter dem Haus platschen.

Bunny (rechts) und ihre Mutter

Bunny (rechts) und ihre Mutter

Am nächsten Morgen geht’s früh los. Der holprige Weg teilt sich wieder und wieder. Nachdem wir zum zehnten Mal nach dem Weg gefragt haben, bekommen wir einen klasse Tipp: Immer dem Stromkabel folgen!

Zwischenstopp in einer Matschpfütze

Zwischenstopp in einer Matschpfütze

Teilweise ist die Straße matschig. Dann gilt es kräftig in die Pedale zu treten und hochkonzentriert den Lenker gerade zu halten. Roberto gelingt das nur bedingt. Er versinkt in einem Matschhaufen. Vom Schuh sieht man nichts mehr, stattdessen fährt er einen dicken Brocken Matschepampe mit sich herum. Roberto flucht und ich lache mich scheckig.

Vom Fuß ist nichts mehr zu sehen

Vom Fuß ist nichts mehr zu sehen

Ein Bauer hat Erbarmen und Roberto darf seinen Schuh mit Schöpfelle und Waschmittel schrubben. Die Prozedur zieht sich hin und als er fertig ist, hat sich bereits das halbe Dorf im Vorgarten versammelt.

Im Team wird geschrubbt und nachgespült

Im Team wird geschrubbt und nachgespült

Nach 35 Kilometern erreichen die die Brücke. Auf der anderen Seite erwartet uns die Stadt. Laute Hupen, ein Tankstellenshop mit Klimaanlage und bis zum Platzen beladene Minibusse finden sich in Kampong Cham. Wir winken dem Mekong zum Abschied zu und radeln schnell aus der Stadt heraus. Ob der Verkehr wohl den ganzen Weg bis nach Siem Reap so schlimm sein wird? Wir werden es herausfinden.

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  1. Toller Bericht (mal wieder)!
    Wir sind die selbe Strecke mit dem TukTuk gefahren und zählen diese zu den besten Erfahrungen, die wir in Kambodscha gemacht haben 🙂 Nach ein paar Stunden habe ich Muskelkater vom Zurücklächeln gehabt … Ist das grün der Reisfelder immer noch soooo verdammt grün? Grüße aus Berlin!

    • admin says:

      Moin Konrad! Ja, diese Strecke war wirklich einfach genial. Habt ihr mit dem TukTuk dann auch Anhalter mitgenommen? Das stelle ich mir ja super spannend vor!
      Ja, das grün ist wirklich sehr sehr grün! Ich konnte gar nicht aufhören, da hin zu gucken.
      Viele Grüße mittlerweile aus Thailand und viel Spaß in Polen,
      Annika

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