Die Quiek-schepper-knarr-rumms-Prozedur

 

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Wir haben gerade den Toktogul Stausee im Südwesten Kirgisistans umfahren, als die Sonne hinter den Bergen verschwindet. Nun müssen wir aber schnell einen Zeltplatz finden. Am Straßenrand ziehen sich die Berge in die Höhe und wir radeln steil bergauf. „Weit kann es nicht mehr sein bis ins nächste Dorf“, keuche ich Roberto zu.

Ich habe Recht. Nach einem langen Kampf mit der unerwarteten Steigung erreichen wir das Dörfchen Torkent. Flaches Land gibt es zwar, aber einen unbeobachteten Zeltplatz? Fehlanzeige. Wir entschließen, dem Fluss zu folgen, bis wir ein geeignetes Plätzchen finden. Auf dem Weg überholen wir zwei Frauen von knapp fünfzig Jahren, die je einen Kinderwagen vor sich her schieben. Die Kleinkinder spielen mit Spielzeughandys, aus denen Klingeltöne und Nummern schallen. Roberto dreht sich nach einem der Kleinen um. Er liebt es, Kindern lustige Gesichter zu machen. „Salam“, begrüßt uns die Frau hinter dem Kinderwagen, die sich sogleich als Mira vorstellt.

„Einen Zeltplatz sucht ihr? Na dann kommt mal mit!“, lädt sie uns ein. Mira verabschiedet sich von ihrer Freundin und wir schieben Räder und Kinderwagen neben uns her.

„Hier wohne ich“, erklärt Mira und deutet auf den blitzeblank gefegten Innenhof. Wir bedanken uns und machen uns gerade daran, noch schnell vor der Dunkelheit das Zelt aufzubauen, da winkt uns Mira hinein. Wir sollen erst einmal einen „Çay“ mit ihr trinken. Wenn die Kirgisen aber von „Tee trinken“ sprechen, meinen sie meistens eine handfeste Mahlzeit mit Brot, Süßem und Deftigem. Mira macht da keine Ausnahme.

Ein paar Stunden zuvor haben wir den letzten Melonenstand der Saison entdeckt und geplündert und mein Bauch ist noch immer kugelrund vom süßen Fruchtfleisch. Doch als ich den ersten Bissen von Miras selbstgebackenem Brot probiere, ist es schon um mich geschehen. Das Brot zergeht fast auf der Zunge und während ich noch kaue stellt Mira uns selbst gekochte Himbeermarmelade auf den Tisch. Wir bekommen große Augen und können unser Glück kaum fassen. „Hier, esst auch von der Soße“, bietet sie uns an und stellt eine große Schale Tomaten-Zwiebel-Soße dazu. Das lassen wir uns nicht zwei Mal sagen und futtern die Leckereien, bis wir fast platzen. Immer wieder zerreißt Mira etwas Brot und legt es direkt vor uns hin. „Nehmt mehr, noch mehr!“, ermuntert sie uns. Eigentlich kann ich nicht mehr, doch es schmeckt so gut. Und wenn Mira doch darauf besteht, dann essen wir brav auf.

Ihr Enkel macht das Haus unsicher während Mira weitere fünf Laibe Brot in den Ofen schiebt. Wir strecken derweil nur hilflos Hände und Füße von uns. Wir haben uns beide hoffnungslos überfressen. Als wir uns endlich aufraffen um das Zelt aufzubauen, winkt Mira ab. „Hier“, sagt sie und führt uns in ein kleines Extrazimmer voller Matratzen. „Nicht draußen. Draußen ist es viel zu kalt“. Wir tragen gemeinsam unser Hab und Gut ins warme Haus, als Miras Mann und Sohn nach Hause kommen. Wir werden herzlich begrüßt und fühlen uns sehr willkommen. Die beiden sind hungrig und durstig und auch wir werden wieder in die Küche gebeten. Vor uns steht je eine große Schüssel. Verglichen mit unseren Schüsseln sind die der Anderen ganz klein. Ich rufe zunächst schüchtern, dann lauter „Halt, halt, das reicht schon“, doch Mira füllt die Schüssel bis zum Rand voll mit Suppe.

Ich bedanke mich. Obwohl ich fast platze, probiere ich, denn ich will nicht unhöflich sein. Es riecht stark und schmeckt, als hätte jemand ein ganzes Schaf in die Schüssel gequetscht. Ich vermeide die größten Fettstücke und esse höflich so viel ich kann. Nach der Hälfte geht es einfach nicht mehr. Ich schiebe den Rest zu Roberto, doch auch er kämpft hart und ich meine den Löffel in seiner Hand zittern zu sehen.

Mira jedenfalls scheint zufrieden, der halbe Teller hat gereicht um ihr zu zeigen, wie gut es geschmeckt hat.

Kurz darauf falle ich völlig ausgelaugt ins Bett. Die heiße Suppe und all der Tee machen mich schläfrig und ich dämmere bald weg. Um Mitternacht wache ich von Bauchschmerzen und einem Blubbern im Darm auf. Schnell zur Toilette! Ich öffne die Schlafzimmertür. Sie quiekt. So schnell wie möglich springe ich in meine Schuhe, drehe scheppernd den Haustürschlüssel um, ziehe den Hebel weg und öffne die knarrende Tür. Ich durchquere den großen Garten im Mondlicht und erreiche die Tür zur Pferdeweide. Mit einem lauten Rumms schiebe ich den Bolzen zurück, öffne die Tür und renne die letzten Meter zum Plumpsklo. Das war aber knapp.

Die Quiek-schepper-knarr-rumms-Prozedur wiederholt sich in dieser Nacht noch vier weitere Male, bis ich morgens um sieben endlich komplett entleert bin. Geschlafen habe ich fast gar nicht.

Mira scheint nichts von meinen nächtlichen Aktivitäten mitbekommen zu haben, sie wirkt ausgeschlafen und grinst viel. Ich bin beruhigt, denn ich habe jedes Mal so leise wie nur möglich gequiekt, gescheppert, geknarrt und gerummst.

Mira, wir sind dir sehr dankbar für die leckeren Abendessen und wir hoffen uns eines Tages mit mexikanischen und deutschen Delikatessen bei dir revanchieren zu können!

Fürs nächste Mal habe ich aber dazugelernt: ich werde nie wieder die kirgisische Gastfreundschaft unterschätzen und mich erst dann satt essen, wenn ich sicher bin, dass kein überraschender Nachtisch mehr serviert wird. Guten Appetit!

PS: Leider wurde Robertos Kamera wenige Tage später gestohlen, daher können wir euch leider keine Fotos zeigen.

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