Couchsurfing: Zwei Surfer für alle

Niš, Serbien, November 2011

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Ich springe grinsend von meinem Stuhl, als ich die E-Mail lese. „Miloš hat uns für morgen oder Samstag angenommen!” Ich bin sehr erleichtert, dass wir in letzter Minute noch einen Host in Niš finden konnten und zeige Roberto Miloš’s Profil. „Er scheint sehr nett zu sein und zu uns zu passen“, findet auch er. Wir kennen Miloš nicht und er kennt uns auch nicht. Dennoch hat er uns eingeladen, drei Tage lang bei ihm im Haus zu schlafen. Couchsurfing sei Dank.

Couchsurfing ist eine der größten Organisationen seiner Art. Drei Millionen Menschen haben ihr Profil auf www.couchsurfing.org. In ihrem Profil geben sie ihre Charakterzüge, Interessen und Wohnsituation an. Couchsurfer sind daran interessiert andere Leute aus der ganze Welt kennen zu lernen.

Wir als Reisende suchen in den Städten, die wir besuchen werden nach Couchsurfern. Wir lesen in ihren Profilen, ob sie zu uns passen und ob sie eine Couch anbieten oder sich auf einen Kaffee oder Tee mit Reisenden treffen möchten. Dann schreiben wir den ausgewählten Couchsurfern eine E-Mail. Wenn die sogenannten „Hosts“ Zeit und Platz haben und uns für sympathisch halten, dann bieten sie uns eine Couch zum schlafen an. Wenn ein Host keine Zeit oder keinen Platz im Haus hat oder findet, dass das Profil des Anderen nicht zum Eigenen passt, kann er Couchanfragen einfach ablehnen.

Unser host Miloš

Wenn dann ein „Surfer“ auf „seinen Host“ trifft, können sie gemeinsam ausgehen, einander stricken, kochen oder tanzen beibringen oder ihre Sprachkenntnisse verbessern. Sie können viel Zeit miteinander verbringen oder wenig. Hosts können ihren Gästen die Stadt zeigen, müssen das aber nicht. Sie können ein kleines Sofa anbieten, einen eigenen Raum oder gar keinen Schlafplatz, sondern nur ein bisschen Zeit um sich zu unterhalten. Alles wird respektiert. Bei www.warmshowers.org, einer ähnlichen aber kleineren Organisation, allerdings für tourende Radfahrer, können Hosts auch nur ein Stück Garten zum zelten anbieten. Weder die Organisation selbst, noch Surfer oder Hosts verdienen oder bezahlen Geld dafür. Alles ist freiwillig, wobei eine Tafel Schokolade für den Host keine schlechte Idee ist.

Bisher haben wir sowohl als Hosts als auch als Surfer großartige Erfahrungen bei www.couchsurfing.org und www.warmshowers.org gemacht, doch die Couchsurfing Gemeinschaft in Niš ist eine ganz Besondere. In Niš gibt es über 140 angemeldete Couchsurfer, 55 von ihnen bieten zurzeit ihre Couch an. Dank unseres Hosts Miloš durften wir einige von ihnen kennen lernen.

Auf dem Weg nach Niš schreibe ich Miloš eine Sms, um zu sagen, dass wir in etwa 2-3 Stunden da sein werden.

Annika bei der Arbeit in der Küche / Gästezimmer

Miloš schreibt gleich online ein Couchsurfer-Treffen aus, zu dem wir noch am selben Abend mit eingeladen sind. Zehn der aktivsten Couchsurfer aus Niš treffen wir dort. Sie sind neugierig auf die mexikanische Kultur, Musik und Küche, auf unsere Meinung über ihre Stadt und ihr Land und auf deutschen nicht kommerziellen Punkrock und wir sind neugierig auf die serbische Kultur und den Alltag in Niš. Es gibt viel zu reden. Wir quatschen bis es spät ist und verabreden uns dann alle für den darauffolgenden Tag zu mexikanische Chilaquiles.

Wir treffen uns bei Miloš zu Hause und unterhalten uns. Maria tut sich ein paar Bohnen auf und beschwert sich bei Miloš: „Erinnerst du dich noch an die beiden Mädchen aus Frankreich die du letztes Jahr hattest? Das fand ich so gemein, die hätte ich so gerne selbst gehabt!“ Maria spricht französisch, englisch, spanisch und serbisch und freut sich wenn sie ihre Sprachkenntnisse mit jemandem trainieren kann. „Ja, ich auch“, wirft Marco ein, „die waren wirklich nett.“. Maria lacht: „Ja, du willst doch immer nur Mädchen hosten, stimmt‘s?“ „ich würde auch Typen nehmen, aber mir schreiben ja immer nur Frauen!“, rechtfertigt Marco sich. „Ich wollte schon immer ein Pärchen. Pärchen sind am Besten.“, seufzt er. Die ganze Gruppe murmelt zustimmend und nickt. Roberto und ich sehen einander an. “Sind wir das?”, frage ich überrascht. Da haben wir eine Diskussion losgelöst. Jeder hat reichliche Erfahrungen mit reisenden Männern, Frauen und Pärchen. Wir hatten in Bremen nur zwei Couchanfragen, zwei Frauen, die nur schnell eine Nacht bei uns schlafen wollten, bevor sie am nächsten Morgen in den Flieger steigen würden. Sie haben wir leider nur flüchtig kennen gelernt.

In Niš hingegen ist Couchsurfing noch das, wofür es geplant war: Ein Kulturaustauschprojekt. Miloš stellt uns vielen anderen aktiven Couchsurfern vor und unsere Tagesplanung in Niš füllt sich schnell. Samstag am frühen Nachmittag ankommen, Samstagabend Couchsurfing-Treffen mit der ganzen Gruppe, Sonntagmittag Chilaquiles für alle, Sonntagnachmittag Tee trinken in einem indischen Café, Montagmittag Stadtführung mit Sanja, die ihr Deutsch üben will, Spätnachmittags Spanisch-Sprachtandem mit Maria, danach jeder-bringt-was-zu-Essen-mit-Dinner mit Karaoke auf youtube und Dienstagnacht mentale Unterstützung und zujubeln für Maria die an einem Karaoke-Wettbewerb teilnimmt. „Einer von uns ist der offizielle Host, aber alle anderen können sich dennoch mit den Surfern treffen und sie kennen lernen.“, erklärt mir Miloš. Als würde die ganze Gruppe sich ihre Gäste teilen. Wir sind beeindruckt. Jeder scheint Gäste zu Hause haben zu wollen und sie der ganzen Gruppe vorzustellen.

Miloš, Katarina und Roberto

Als wir weiterfahren ist Miloš traurig und wir genauso. Seine Tante weint ein bisschen, seine Mutter umarmt uns fest und gibt uns eine Tafel Schokolade mit und unsere neue Freundin Katarina kommt sogar mit zum Bahnhof. Für uns war Niš nur eine weitere Stadt auf dem Weg nach Südosten. Nun ist es ein Ort, zu dem wir zurückkehren, ein paar Freunde anrufen und etwas Nettes essen wollen.

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