Land: Neuseeland
Von Christchurch bis Christchurch
Draus gelernt: Wir sind ziemlich anpassungsfähig
Drüber gelacht: Grinsende Kiwis in Shorts und ohne Schuhe bei -3°C
Schönstes kleines Wunder: Naturwunder gleich um die Ecke zu haben
Gegessen: Burger, Hotdogs und Pizza (Fastfod-Kochwettbewerb), jede Menge Sushi und viel Suppe
Größte Herausforderung: Der Winter
Christchurch, Juni 2014.
Wir sind keine Radler mehr und auch keine Abenteurer. Roberto ist der Mexikaner von Nebenan. Ich bin die nette Sushiverkäuferin. Wir freuen uns auf den Feierabend und schlafen jede Nacht im gleichen Haus.
Ich sehe meinen Basilikum-Keimen dabei zu, wie sie zu einer ausgewachsenen Pflanze heranwachsen und Roberto schmirgelt in seiner freien Zeit den Lack von einem Tischchen und einem Wandschrank ab, sodass wir die beiden neu bemalen und eines Tages wieder verkaufen können.
Die Räder nutzen wir täglich zum einkaufen und für den Arbeitsweg, doch weiter als ein paar Kilometer fahren wir nie. Stattdessen gucken wir mit unseren Freunden Game of Thrones, veranstalten ausgiebige Kochwettbewerbe, schmeißen kleine Partys, besuchen das Schwimmbad und gehen ins Kino.
Wir sind voll im Alltag angekommen. Und irgendwie fühlt sich alles so normal und natürlich an. Dass ich vor gut drei Monaten noch das kleine grüne Zelt mein zu Hause nannte, glaube ich jetzt kaum noch.
Ich habe mich nach Gewürzen gesehnt, nach großen Shampooflaschen, einem Schrank mit Kleiderbügeln, nach einem regelmäßigen Einkommen und nach Freunden, die wir nicht nach weniger Wochen wieder verlassen müssen.
Das alles haben wir nun. Die Verschnaufpause tut gut. Trotzdem sparen wir eisern. Das muss auch sein, wenn ein Glas Bier in der Kneipe 8 $ und ein Burger in derselben 24 $ kostet. Dann doch lieber ein Sixpack zu Hause.
Verschnaufpause haben wir nur vom ewigen Ein- und Auspacken und vom Nomadendasein. Wir arbeiten wie die Wilden, wer weiß wann wir uns mal wieder in einem Land aufhalten, in dem wir beide so einfach eine Arbeitserlaubnis und Jobs bekommen.
Neuseeland gefällt uns gut. In meinem Job beim Outdoorausrüster Kathmandu schwärmen mir Kunden und Kollegen immer wieder von den wunderschönen Trecks, Radwegen, Fjorden, Bergen und Seen vor, die das Land zu bieten hat. Keine 100 Kilometer von Christchurch entfernt liegt ein Skigebiet, eine Stunde weiter liegt Arthurs Pass, ein Nationalpark mit unzähligen Wanderwegen und Klettermöglichkeiten, mit Ausblicken, Zeltplätzen und wilden Tieren und … ach ab und zu kommt es schon vor, dass mir das Sesshaft sein zu viel wird und dass ich meine sieben Taschen packen und mich auf mein Rad schwingen will. Doch zum Glück ist jetzt Winter, da überlege ich mir das lieber zwei Mal.
Winter bedeutet meist entweder milde und feuchte Tage oder Frost bei strahlend blauem Sonnenschein. Eigentlich könne man sich über beides nicht beklagen – wenn es in Neuseeland Heizungen gäbe.
Geheizt wird nur symbolisch, damit die Leitungen nicht einfrieren, nehme ich an. Egal, wo wir hingehen, wir lassen die Jacke an oder ziehen mehrere Extraschichten Kleidung drunter. Im Supermarkt, auf der Arbeit, im Fisch und Chips Laden, zu Hause, auf dem Amt, in der Bank und im Kino, überall fühlt man sich ein bisschen wir beim Zelten. Die Luft ist etwas wärmer als draußen aber wohl fühle ich mich noch lange nicht.
Wenn wir zu Hause die Wärmepumpe anschmeißen, verbrauchen wir ein kleines Vermögen an Strom und heizen damit einen kleinen Teil des Wohnzimmers auf. Bis in unser Zimmer findet die heiße Luft ihren Weg kaum. Lassen wir sie aus, so ist das Haus noch kälter und feuchter und ungemütlicher.
Aber die Kiwis (so nennen sich die Neuseeländer selbst), finden die Winter nicht allzu tragisch. Sie radeln auch bei -3°C noch mit kurzen Hosen zur Arbeit, während ich mir drei lange Shirts und eine Leggins unter meine Arbeitskleidung ziehe. Die Kiwis sitzen Barfuß und im T-Shirt im Restaurant während ich mich nur nach einem heißen Kaffee aus meiner Winterjacke herauswage. Überhaupt sind die Kiwis gern barfuß unterwegs, egal ob in der Stadt, auf dem Land, im Sommer, Winter, aus Student, Angestellter oder Mutter mit Kinderwagen. Dass sie das aushalten, verblüfft mich immer wieder. Gerade im Winter. Mir wären die Füße längst blau und schwarz angelaufen und abgefallen.
Die Kiwis sind ein sehr freundliches und höfliches Volk. „Nein Danke“ sagen sie und „Ja bitte“ und sie halten älteren Damen und Herren die Tür auf, lächeln viel, lassen sogar Radfahrern ihre Vorfahrt und egal wo man reingeht wird man mit „Hallo, wie geht’s dir denn heute?“, begrüßt. Man ist nett zueinander. Doch niemand würde im Kiosk die Begrüßung mit „ich bin müde und habe Kopfschmerzen“ beantworten. Und niemand läuft auf ein fremdes Kleinkind zu und und spielt mit ihm, einfach weil es so niedlich ist, während die Eltern einen Kaffee trinken. Manchmal fällt es mir schwer, mich wieder an eine eher oberflächlich höfliche Kultur zu gewöhnen.
Der Zweitjob im japanischen Restaurant macht die kulturelle Verwirrung komplett. Ich kenne Japan nur aus dem Atlas und weiß nie, wann ich mich nach welchen kulturellen Regeln verhalten muss. Aber irgendwie passt es schon.
Drei Monate Winter liegen noch vor uns. Ich will Roberto zeigen, wie man Ski fährt und er will ganz viele neue Suppenrezepte ausprobieren. Wir werden weiterhin fleißig arbeiten und sparen, denn die Flugtickets nach Amerika sind nicht gerade billig.
Wir freuen uns auf die Dienstage, denn das bedeutet Kochwettbewerbszeit und auf die Samstage, denn das ist unser freier Tag. Wir ärgern uns über hohe Steuern, Banköffnungszeiten und Regen auf dem Weg zur Arbeit. Irgendwie klingt das gar nicht mehr so sehr nach Abenteuer, wilden Tieren, ominösen Wegbeschreibungen und exotischen Speisen. Wir sind jetzt vorübergehende sesshafte Arbeitstiere. Schönen Feierabend noch.
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