Gastfreundschaft am Rhein – Rheinradweg im Winter

Annika und Roberto auf dem Weg von Gelsenkirchen nach Düsseldorf. Foto von Patrick.

Auf dem Weg von Gelsenkirchen nach Düsseldorf. Foto von Patrick.

Gastfreundschaft am Rhein – Rheinradweg im Winter
Land
: Deutschland
Von Koblenz nach Düsseldorf
Draus gelernt: Wir sind keine Schubladen-Menschen
Schönstes kleines Wunder: Unsere tollen Gastgeber
Gesichtete Tiere: Tauben, Raben und Enten
Geradelte Tage: 4
Geradelte Kilometer: 179
Durchschnittliche Kilometer pro Tag: 44,75
Insgesamt geradelte Kilometer: 32.049

 

Letzten Blog verpasst? Hier kommt er: Von Kaffee und Glühwein – Im Winter mit dem Rad durch Süddeutschland
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Rheinradweg im Winter

Von Koblenz bis zurück nach Bremen ist es eigentlich nicht mehr so weit, aber es gibt viel zu sehen. Für mich ist Vieles neu: Köln, Bonn, das Ruhrgebiet. Und es gibt Orte an denen ich nur flüchtig war, wie Münster, Düsseldorf und Osnabrück. Um Land und Leute kennen zu lernen und auch, um nicht inmitten des großen Rhein-Ruhr-Stadtgebiets zelten zu müssen, haben wir uns ein wenig bei warmshowers umgesehen. Im Dezember ist nicht mehr viel los und wir haben großes Glück: jede Nacht hat sich eine Übernachtungsmöglichkeit ergeben! Ein letztes Mal wollen wir noch zu Gast sein, bevor wir bald selbst Gastgeber werden. Das heißt nette Menschen, drinnen schlafen, Tipps von lokalen Radlern, aber eben auch klar durchstrukturierte Radeltage und nur planmäßige Pausentage.

Wir machen uns auf den Weg zum ersten Abschnitt. Zur ehemaligen Bundeshauptstadt radeln wir über einen romantischen Radweg durch alte Dörfer zwischen Westerwald und Eifel. Der Rhein ist hier breiter, da die Berge sich zurückziehen. Brücken werden seltener, aber wir fühlen uns auf unserer Rheinseite ganz wohl. Wir staunen über historische Kurorte mit Fachwerkhäusern Anno Fünfzehnhundert und radeln eher gemütlich. Der Rheinradweg ist bisher ein voller Erfolg. Wir erreichen Nordrhein-Westfalen und halten nochmal an der Drachenburg, die leider aber auf der anderen Rheinseite liegt.

In Bonn übernachten wir bei Steffen und Martina. Die beiden sind zwar noch nicht zu Hause, sagen aber, wir sollen es uns schonmal gemütlich machen. Ihre Tochter ist auf ihrer ersten Klassenfahrt, wir dürfen in ihrem Zimmer übernachten. Ihr kleiner Brunder ist schon ganz gespannt auf uns. Martina und Steffen haben mit ihrer Tochter ein Jahr lang im Süden Afrikas gelebt und gearbeitet. Zurück in Deutschland radeln sie viel, auch mit der ganzen Familie. Zuletzt ging es einmal die Elbe hinauf. Im Bad hängt eine riesige Landkarte mit den Gebirgen und Flüssen Deutschlands. Ich bleibe bei jeden Besuch ein paar Minuten länger als nötig und schmiede Pläne für zukünftige Radrouten. Wir essen eine leckere Suppe und quatschen den ganzen Abend. Martina arbeitet Vollzeit, während Steffen etwas mehr Zeit für die Kinder hat. Heute abend ist er allerdings unterwegs. „Hat sich eben einfach so ergeben“, sagt Martina. Uns freut die Abweichung von den ausgelatschten Genderrollen.

Der nächste Tag startet verregnet. Da wir seit Frankreich keinen Regen mehr hatten, meckern wir nicht, sondern packen in aller Ruhe. Gegen Mittag hat es sich eingeregnet. Egal, wir fahren trotzdem los. Heute wird nicht viel angehalten. Wir erkennen Köln schon von weitem daran, dass es in der ferne wieder Brücken gibt,

Fachwerkhaus am Rheinradweg

Der Rheinradweg passiert alte kleine Dörfer sowie große Städte

und radeln schnurstracks in die Kölner Altstadt. Der Regen hat nachgelassen und wir setzen uns ins Warme. Das ist noch ein Nachteil bei schlechtem Wetter. Wir hätten wohl genug Zutaten zum selbst kochen und Tee machen dabei, aber was hilft uns das wenn wir den Schutz eines Gebäudes suchen, wo wir uns aus den nassen Sachen heraus pellen können. Also essen wir trotz engem Budgets in einem Restaurant.

Roberto at Cologne Christmas market by the cologne cathedral

Allein heite besuchen wir drei oder vier Kölner Weihnachtsmärkte. Es gibt viel zu entdecken.

Gegen Nachmittag fahren wir zu Carolin. Ihre Mitbewohnerin Julia macht uns auf und bietet uns als allererstes ihr eigenes Zimmer an. „Ach, ich schlafe die meisten Nächte ohnehin im Zimmer meiner Tochter“, meint sie dazu. Wir freuen uns sehr. Julia arbeitet in einem Buchverlag und liest auch privat viel. Ihr Bücherregal hat sie nach Farben geordnet. Ich schreibe diese Idee gleich in mein Notitzbuch, denn das sieht einfach klasse aus.

Annika und Roberto auf dem Weihnachtsmarkt in Köln

Einer der Kölner Weihnachtsmärkte

Zusammen mit Julia und Caro wohnen hier zwei weitere Frauen und ein kleines Mädchen. Es geht harmonisch zu, in der Küche ist immer Platz für Besuch und Teewasser wird mindestens alle Stunde neu aufgesetzt. Julias Schulfreundin kommt samt Hund und wir quatschen bis Caro von der Arbeit kommt. Die Tür geht auf und wir umarmen uns wie alte Freundinnen die sich jahrelang nicht gesehen haben. Genauso fühlt es sich tatsächlich auch an.

Der Kölner Dom ist weltweit eine der größten Kathedralen im gotischen Baustil

Der Kölner Dom ist weltweit eine der größten Kathedralen im gotischen Baustil

Caro hat gerade den Quereinstieg als Deutschlehrerin geschafft und jongliert momentan mit drei Jobs. Es ist alles neu und aufregend. Zwei Jahre lang ist sie für Fortbildungen des berufsbegleitenden Studiums nach Heidelberg gependelt.

Vor einem guten halben Jahr hat Caro sich ihr Rad geschnappt und ist für 4 ½ Monate quer durch Europa geradelt. Auch Deutschland hat sie von Fahrradsattel aus besser kennen gelernt.

Roberto auf dem Weihnachtsmarkt in Köln

Der erste Kölner Weihnachtsmarkt im Südosten der Stadt.

Wir quatschen bis die Bäuche vor lauter Tee ganz rund und blubberig sind. Den nächsten Vormittag verbringen wir wieder in der Stadt, diesmal aber ohne Regen. Erst recht spät radeln wir los, denn heute radeln wir kaum eine Stunde. Ursprünglich wollten wir entweder in Köln übernachten oder in Leverkusen, doch als uns sowohl Caro als auch Patrick zusagten, freuten wir uns umso mehr um die paar eingesparten Tage, die wir nun bei warmshowers abbummeln können.

Cologne Christmas market with Heinzelmännchen

Heinzelmännchen auf dem Weihnachtsmarkt

Patrick und seine Freundin Ines sind 23 und 21 Jahre alt und wohnen zum ersten Mal zusammen. Heute Abend haben sich Patricks Eltern angemeldet, sie wollen eine Runde über den Leverkusener Weihnachtsmarkt drehen. Wir können uns gern anschließen. Das lassen wir uns natürlich nicht nehmen. Wir bummeln, trinken einen Glühwein und ich quatsche mit Ines über ihre Erfahrungen als Au Pair und Praktikantin in Südspanien, während Patrick seine Kamera auspackt und loslegt. Als wir zurück sind, zeigt der App-Entwickler und Hobby Fotograf uns einige seiner schönsten Bilder. Viele sind am Ruhrtalradweg entstanden, Patricks Meinung nach einer der schönsten Radwege überhaupt, „wenn man denn auf Industrie steht“.

Patrick aus Gelsenkirchen mit seiner Unterwegs Radtasche

Patrick klebt einen Tasting Travels Sticker auf seine Radtasche, bevor er auf unserer unterschreibt.

Industrie. Was gibt es denn da zu mögen? Rauch, Fabriken, Schornsteine, Stahl, Beton. Ich kann dem nichts abgewinnen. Patrick zeigt uns ein wirklich schönes Bild vom riesigen frei stehenden Bayer Logo am Stadtrand bei Sonnenuntergang. Gut, das hat er schon echt gut hingekriegt, aber sonst sind doch die ganzen industriellen Gebäude eher hässliche Blöcke, als dass sie die Landschaft verschönern? Wir werden es ja bald herausfinden.

Köln, die Heimat der Heinzelmännchen

Bei unserer Tour durch Käln lernen wir über die Heinzelmännchen

Früh geht es weiter nach Düsseldorf. Die Schornsteine häufen sich etwas mehr, doch auch hier ist es immer wieder grün. Wir erreichen Düsseldorf und fahren aufs linke Rheinufer und dann immer geradeaus, bis wir ein Kino erreichen. Auf den neuen Star Wars Film in Originalversion hatte Roberto sich schon lange gefreut. Leider sind wir mehrere Stunden zu früh dran, also trinken wir in der Nähe ein Käffchen.

Weihnachtsmarkt in Köln

Köln im Trockenen

Die Tische teilen wir mit Geschäftsleuten im Anzug, die am Handy oder mit ihren Kollegen wichtige Deals besprechen oder über andere Geschäftsleute lästern. Uns graut es ein bisschen. Wird Roberto als Marketing-Mensch bald zu solch einer Anzugträger-Truppe gehören? Immer wieder kommen uns Doro und Peter aus Karlsruhe in den Sinn. „Versucht gar nicht erst, euch zu sehr anzupassen, ihr jetzt seid ohnehin nicht mehr in Schubladen zu stecken, also freundet euch besser mit anderen schrägen Typen an und habt Spaß. In das geordnete Leben passt ihr nicht mehr rein. Das wird euch nie wieder erfüllen.“ In den nächsten Monaten würden wir noch viel an diesen Tipp denken.

Annika und Roberto bei Rouge One

Den neuen Star Wars Film können wir uns natürlich nicht entgehen lassen.

Wir sind recht begeistert vom Film und radeln anschließend vom äußeren Westen der Stadt einmal durchs Zentrum bis in den äußeren Osten, denn dort wohnt Silke. Sie ist Geografie- und Sportlehrerin und hat uns dreien eine oberleckere Kürbissuppe gekocht Dazu gibt es – wie sich das in Düsseldorf gehört – Altbier. Ich bestaune Silkes riesige Afrikakarte und schmiede schon erste Pläne für die nächste Auslandsreise. Silke lehrt nicht nur Sport, sie ist auch selbst sehr aktiv. Vom Marathon zum Iron Man, von Schwimmen über Radeln bis zu Baseball, sie schreckt vor nichts zurück. Die Westküste der USA ist sie in etwa der halben Zeit runtergeradelt, die wir brauchten. „Als ich mal für einen Wettkampf in Hawaii war …“, fängt sie ganz leger eine Geschichte an. Mir fällt fast die Kinnlade runter. Silke hat eine ansteckende gute Laune und wir haben einen klasse Abend bei ihr.

Köln bei Sonnenuntergang

Als wir Köln hinter uns lassen, dämmert es schon.

Am nächsten Morgen hat Silke zur ersten Stunde Schwimmunterricht. Wir gehen gleich mit raus und machen uns langsam auf den Weg, zum dritten Mal in die Stadt. Heute frühstücken wir mit meiner Schulfreundin Jasmin. Im zarten Alter von 16 ist Jasmin von ihrem Heimatdorf allein ins über 300 Kilometer entfernte Arnsberg gezogen, um dort eine Lehre zu beginnen. Wir anderen weniger Mutigen wohnten in dem Alter noch bei den Eltern und unsere Selbstständigkeit bestand darin, dass einige von uns sich statt mit dem Rad nun mit dem Moped ins Nachbardorf bewegten und auch mal selbst ihre Wäsche aufhängten. Schon damals bewunderte ich Jasmin dafür, wie sie die Dinge nicht nur sagte, sondern auch gleich machte.

Bei und mit Jasmin

Bei und mit Jasmin

Heute wohnt sie in einer coolen Wohnung in Düsseldorf, reist für den Job mal nach London, mal nach Amsterdam, mal nach Minneapolis und mal nach Dublin. Jasmin ist zufrieden, das hartnäckige Kämpfen hat sich gelohnt.

Wir quatschen bis kurz vor Mittag, dann muss Jasmin zu einem Meeting und wir weiter in Richtung Essen. Nun geht es einmal mitten durchs Ruhrgebiet. Ich denke an Fabrikgebäude, Abgase, Schornsteine und Trinkhallen. „Wenn man denn auf Industrie steht“, hatte Patrick gesagt. Ja, dann werden wir Industrie von heute an eben einfach mal mögen.

 

 

 

 

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