Die letzten Wochen in Kanada: Mit dem Rad nach Vancouver
Land: Kanada
Von Revelstoke bis Vancouver
Draus gelernt: Das beste Flickset hilft ohne Pumpe nicht viel
Drüber gelacht: Das Miniaturpferde-Kutschenrennen
Schönstes kleines Wunder: Der kleine aber feine Rieboldt Park
Größte Herausforderung: Reifen flicken während eines Zugüberfalls
Geradelte Tage: 9
Geradelte Kilometer: 668
Durchschnittliche Kilometer pro Tag: 74,22
Insgesamt bis Vancouver geradelte Kilometer: 23.156
Mit dem Rad nach Vancouver.
Letzten Blog verpasst? Hier kommt er: Wie die nassen Mohnbrötchen – von Lake Louise nach Revelstoke
English Version here: Our last weeks in Canada: Cycling to Vancouver
Richtig ausgeruht geht’s am nächsten Tag weiter. Der Transcanada Highway ist voll wie immer, doch da es nicht so bergig und nass ist, macht das nichts.
Nach 70 Kilometern biegen wir links auf eine ruhigere Straße ab. Am Mara See schlagen wir an einer Raststätte mit Klo das Zelt auf. Die halbe Nacht regnet es, doch am Morgen ist es trocken.
Wir machen einen kleinen Umweg über eine noch ruhigere Straße, denn auch unsere Landstraße ist voller Autos und LKWs. Hier biegen wir einmal falsch ab und radeln stolze 13 Kilometer die falsche Straße hinauf und hinunter. Immerhin sind wir mit wenig Verkehr idyllisch unterwegs zwischen Bauernhöfen, Wald und kleinen Häusern.
Nach gut 60 Kilometern radeln wir Tom in die Arme. Er kommt seinen Warmshowers Gästen Claudia und Peter entgegengeradelt. Claudia und Peter? Die haben wir doch in Revelstoke schon kennen gelernt!
Spontan lädt er uns auch mit zu sich nach Hause ein und zu fünft rollen wir die Nebenstraßen entlang, die wir allein im Leben nicht gefunden hätten.
Tom und Sandra leben in einem sehr modernen Haus ganz oben auf dem „Schildkrötenhügel“ von Vernon. Die beiden kochen sehr lecker!
Tom und Sandra laden uns spontan ebenfalls ein, eine weitere Nacht bei ihnen zu verbringen und den Tag auf dem Herbstmarkt zu verbringen. Da sind wir dabei!
Der Herbstmarkt ist eine großartige Attraktion und neben preisgekrönten Zuchtbullen und Hühnern sehen wir ein Miniaturpferde-Minikutschen-Rennen!
Morgens um 7 sind alle schon zum Frühstück bereit. Wir schälen uns aus dem gemütlichen Bett. Um 8.40 Uhr sitzen wir auf den Rädern. Rekordzeit. Ganz oben auf dem Hügel rollt Roberto mitten in einen 3 cm langen Doppelnagel. Das Flicken zieht sich, aber immerhin ist es heute trocken.
Kurz vor Kelowna kommt sogar noch die Sonne raus. Die Einfahrt nach Kelowna ist gar nicht leicht, denn um Radler auf dem Highway zu vermeiden wurden mehrere „Radrouten“ eingerichtet.
Wir folgen brav, landen unter einer Brücke zwischen Büschen und dann irgendwann auf der Longhill Road, die auch hält, was sie verspricht: einen langen, langen Hügel.
Wir picknicken im Park, als endlich die Sonne rauskommt. „Normalerweise ist es richtig heiß um diese Jahreszeit“ hören wir jeden Tag von den Einheimischen.

Päuschen im Stadtpark. Es ist immer gut an einem trockenen Tag den Morgentau aus dem Zelt wegtrocknen zu lassen.
Auf der Brücke nach West Kelowna treffen wir wieder auf Claudia und Peter. Die beiden Couchsurfen heute wieder.
Wir radeln durch bis Peachland, wo eine nette Dame uns erklärt, dass es zwei (volle) Campingplätze zwischen hier und Summerland gibt. Wir radeln die Strandpromenade entlang und weiter entlang des Sees bis wir den ersten Zeltplatz erreichen.
Obwohl alles voll ist, beschließen wir, unser Glück zu versuchen und fragen ganz frech ein junges Paar, ob sie Lust haben Kosten und Zeltplatz zu teilen. Kei und Kim machen gerne Platz und schon bald sitzen wir an ihrem Lagerfeuer, trinken Wein aus dem Plastikschlauch und quatschen über Game of Thrones.
Weit ist es nicht mehr bis nach Summerland. Aber es geht gut rauf und runter und wir schwitzen nicht schlecht. Nun, da wir regelmäßig durch Städte und Dörfer kommen, können wir richtig leckere frische Sandwiche frühstücken, heute sogar mit Spinat und Avocado.

Organisches vor Ort angebautes Obs und Gemüse, Honig, Marmeladen und allerlei Leckereien in Summerland
In Summerland radeln wir lange und steile Berge hinauf zum Start des Kettle Valley Rail Trails. Der Trail selbst startet parallel zu den Bahnschienen. Wir haben die ersten beiden Kilometer geschafft, als mein Reifen sich leert. Zum Glück ist eine Bank in der Nähe. Doch bei all den platten Reifen in letzter Zeit habe ich beim letzten Mal einpacken nicht gut aufgepasst und die Luftpumpe liegen gelassen. Und nun stehen wir im Wald ohne Luft.
Zwei Damen in Cowboy Kostümen spazieren vorbei.
„Hier findet gleich ein Zugüberfall statt!“
Ich bringe nur ein verwirrtes „ooooh!“ heraus.
„Und wir haben 20 Pferde und Cowboys und Pistolen und ihr müsst uns Platz machen.“
Wir versuchen den Damen klar zu machen, dass wir uns auch besseres vorstellen können, als hier auf Radler mit Pumpe zu warten, doch dass wir an dieser Situation nichts ändern können. Die Damen werden ziemlich unfreundlich und nach langer Diskussion tragen wir all unser Zeug hinter einen dicken Baumstamm. Dort sind wir immerhin so versteckt, dass die Touristen im Museumszug uns beim gestellten Überfall nicht entdecken können und alles möglichst „echt“ aussieht.
Kurz vorm Überfall radelt eine Familie vorbei, die eine Kartuschen-Pumpe dabei hat. Prallevoll wird der Reifen nicht, aber fahrbar ist das Rad allemal. Und die Kartusche kriegen wir hinterher sogar noch als Souvenir mit, falls uns das auf dem Rail Trail nochmal passiert. Wir haben nämlich eine gute Strecke ohne jedes Dorf vor uns.
Wir treffen zwei weitere Radlerinnen und jede Menge Quad Fahrer. Die meisten fahren langsam und respektieren uns Radler auf dem schmalen Weg. Wir zelten gratis auf einem sehr simplen Platz mit einem Plumpsklo und einem Picknicktisch.

Mal wieder eine dieser Strecken die mit dem Mountainbike sicher ein Traum ist, während auf dem Reiserad der Hintern leidet. Doch zu Anfang war die Strecke super zu radeln.
Am nächsten Morgen ist es 6°C kalt, doch der Rail Trail schüttelt uns kräftig durch und bald schwitzen wir in unseren Shorts. Bären sehen wir wieder keine, aber dafür jede Menge Rehe. Für die ersten 20 Kilometer brauchen wir volle 2 Stunden. Dann reicht es uns mit dem Railtrail. Sand, Steine und dicke Brocken machen den Weg aus. Wir flüchten uns auf die parallel verlaufende Schotterstraße, die zwar hügeliger ist als der Trail, aber nicht so holprig.
Trotzdem kommen wir langsam voran, was unter anderem an meinem halb vollen Hinterreifen liegt. Die extra Kartusche will ich nicht benutzen, wer weiß ob wir nicht noch einen Platten bekommen. Roberto überredet mich dennoch und kurz drauf rolle ich genauso flott wie er.
Bald haben wir den höchsten Punkt erreicht und radeln ab hier auf einer asphaltierten Straße entlang. Weit ist es nicht mehr bis Princeton und nur 3 Kilometer vor der Stadt macht es „pffffff“. Robertos Reifen ist platt. Ich kann mir ein „Ich hab’s dir doch gesagt“ nicht mehr verkneifen.
Mittlerweile knallt die Sonne und wir haben Glück im Unglück: Ross hält seinen Pick Up und nimmt Roberto samt Rad mit bis zur nächsten Tankstelle. Ich radel. Im Reifen haben sich mittlerweile zwei Stücke Draht und zwei Glasscherben gesammelt.
Wir zelten auf einem privaten Zeltplatz mit Dusche und Wlan und zahlen weniger als in vielen der simplen Staatszeltplätzen. Am nächsten Morgen sind wir bei Sonnenaufgang wach. Nach einem guten Sandwich-Frühstück kaufen wir eine neue Pumpe und machen uns auf den Weg nach Hope. Den Railtrail lassen wir links liegen, der soll auf dieser Sektion wirklich nichts für Reiseräder sein.
Stattdessen radeln wir auf dem Highway Nummer 5, der heute nach dem Labour Day Wochenende, überraschend leer ist. Das ist auch gut, denn bei den harten Steigungen brauchen wir Platz. Ziemlich schnell geht es rauf auf 1280 Meter, dann wieder lange runter und erneut rauf auf 1300. Der Weg zieht sich hin. Fast alle Zeltplätze im Provinzpark sind geschlossen, also radeln wir weiter und weiter. Es wird vor Bären gewarnt und wir beschließen, erst nach der Parkgrenze das Zelt aufzustellen. Doch so schnell wir auch in die Pedale treten, die Grenze will einfach nicht kommen. Es ist schon ziemlich dunkel als wir nach über 8 Stunden und 112 Kilometern eine kleine moosbewachsene Fläche ohne Bäume am Straßenrand entdecken. Es ist laut und felsig aber unsere beste Option. In der kurvigen Straße würden wir nur ungern im Dunkeln weiter fahren.

Dies wird nicht die Top 10 Lieblingszeltplätze machen, aber nach Sonnenuntergang sind wir nicht mehr wählerisch.
Um 6 sind wir wach, eine halbe Stunde später sitzen wir auf den Rädern. Und am anderen Ende der Kurve gibt es einen Parkplatz mit Picknicktischen, denn dort ist der Nationalpark zu Ende, keine 700 Meter von unserem Schlafplatz entfernt.
Wir rollen die letzten 27 Kilometer nach Hope in einer guten Stunde hinunter und treffen nach einem warmen Frühstück überraschend wieder auf Claudia und Peter, auf dem Weg in Richtung Vancouver. Sie haben bei Hilary und Peter von Warmshowers übernachtet und auch wir machen uns auf den Weg zu ihnen.
Hilary und Peter sind Legenden unter den Warmshowers-Hosts. Sie sind die einzigen Hosts in Hope, was 150 Kilometer östlich von Vancouver liegt. Dementsprechend viele Besucher haben sie. Und da sie niemanden abweisen wollen, haben sie im letzten Sommer über 50 Radler beherbergt! Wir kochen mexikanisches Essen und trinken Bier und Tequila mit den beiden und Radler Stephan, der im anderen Zimmer übernachtet.
Wir verlassen Hope mit den Taschen und Wangen voller holländischem Lakritz, das hier aus irgendeinem Grund verkauft wird. Die Straße erinnert mich an zu Hause. Es riecht nach Gras und Silage, die Kühe und Pferde (auch Miniaturpferde!) schauen uns neugierig nach, die Straße ist flach und in gutem Zustand mit wenig Verkehr und viel Wind.
Der Verkehr nimmt allerdings irgendwann zu und in Maple Ridge reicht es uns für heute. Wir haben weit mehr als die Hälfte des Weges hinter uns, doch wo können wir Feierabend machen? Nachdem wir ein paar Passanten ansprechen, landen wir bei Sharon und Buck, die den Rieboldt Park verwalten.
Der Park ist einfach märchenhaft. Sharon hat Körbchen und Figuren aufgehängt und die Bäume, Büsche und sogar das Klohäuschen geschmackvoll geschmückt.
Im Park selbst können wir leider nicht zelten, denn es sind 4 erwachsene Bären und drei Babies im und um den Park unterwegs, doch Buck beschließt, uns einfach in den privaten Garten einzuladen. Was für ein Glück!
Wir schlafen vorzüglich und am nächsten Morgen kocht Buck uns einen Kaffee und nimmt uns mit auf einen Spaziergang durch den Park. Er kennt jede kleine Spur und kann uns anhand von Kratzern und Kot klar zeigen, dass wir in der Nacht nicht allein waren. Park und Garten sind nur durch einem dünnen Zaun getrennt, doch die Bären respektieren das Menschen-Territorium und haben uns nur vom Park aus beobachtet.
Wir sind ganz hin und weg, als er einen Eulenauswurf aufhebt und darin einen kleinen Mäuseschädel samt Zähnen findet. Buck kennt seinen Park und dessen Einwohner wirklich in- und auswendig und während er uns noch Frühstück kocht, hören wir viele seiner Geschichten als Begleitfahrer von übergroßen LKWs in ganz Nordamerika.
Wir schwingen uns auf zur letzten Etappe nach Vancouver. Keine 50 Kilometer mehr! Wieder gibt es viel Verkehr, doch immerhin haben wir die Rush Hour abgewartet.
Das Radeln macht nicht wirklich Spaß in der Stadt, aber so ist das in großen Städten eben. Ein paar Hügel noch, dann stehen wir vor Kenjis und Joanas Wohnung. Die beiden sind Robertos beste Freunde aus Mexiko und sind vor Jahren nach Vancouver gezogen.
Gemeinsam mit Kenjis Mutter Yoshi und dem zwei Monate alten knuddeligen Baby Kin übernachten wir in der gemütlichen Einzimmerwohnung mit Wohnküche. Es gibt Pizza und Bier und wir können endlich das Hochzeitsvideo ansehen und mit Kin spielen.
So gefällt es uns. Wir machen eine Woche Pause, denn es gibt viel zu tun. Und wir können eine Pause gut gebrauchen. Kanada ist nämlich wirklich ein riesiges Land.
Wie gefällt es uns in den USA? Lest hier: Im Radwegdschungel: Von Vancouver durch Washington nach Portland
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