Mit dem Rad durch Neuseeland Teil 7: Durch Watt und Meeresengen
Land: Neuseeland
Von Motueka bis Wellington
Draus gelernt: Eine Durchschnittskuh kann bis zu 36 Liter Milch geben
Drüber gelacht: Wie sehr unsere Reise der von Jana und Alex gleicht
Schönstes kleines Wunder: Ein Paket voll Steaks
Größte Herausforderung: ein paar Langholztransporter
Geradelte Tage: 3 und ein paar Minuten
Geradelte Kilometer: 174,8
Durchschnittliche Kilometer pro Tag: 58,27
Insgesamt bis Wellington geradelte Kilometer: 18.640
Mit dem Rad durch Neuseeland: Von Motueka über den Great Taste Trail und den Queen Charlotte Drive über Nelson und Picton nach Wellington
Wir verbringen einen faulen Tag bei Ken in Motueka und am nächsten Tag zeigt er uns die Umgebung. Kaiteriteri und Marahau mit ihren goldenen Stränden gefallen uns besonders gut. Dort in der Nähe lässt Ken uns raus, denn wir wollen heute über den 700 Meter hohen Takaka Hill nach Takaka fahren, wo wir unseren Freund Colin treffen.
Ein Milchbauer namens Brendon nimmt uns gerne mit und weiht uns in alle Milchgeheimnisse ein, die wir uns nie erklären konnten. In Kurzform: Eine durchschnittliche neuseeländische Kuh kann bis zu 36 Liter Milch am Tag geben, die meisten Kälber werden per Hand aufgezogen, sodass die Milch komplett vom Bauern gemolken werden kann, viele Kälber werden schon nach wenigen Tagen geschlachtet, die meisten Kühe werden künstlich befruchtet, der Samen kommt von ein paar der besten Bullen des Landes, die ein Mal im Jahr sehr viel „Arbeit“ haben, und einige Bauern haben eine extra Erlaubnis, auch im Winter zu befruchten, sodass die Kälber im Herbst geboren werden, um so eine Milchenge zu vermeiden.
In Takaka trinken wir zusammen ein Bier während wir auf Colin warten. Ihn kennen wir bereits aus Australien. Vor einem Jahr hat er uns in Christchurch besucht und ist direkt danach zur Tui Community in Wainui Bay gefahren. Colin wollte schon immer in einer organisierten Wohngemeinde leben, aber bisher hatte ihm keine so richtig gefallen, bis er nach Wainui gekommen ist, wo er sich auch direkt in Inna verliebte, mit der und deren Tochter Kiva er nun wohnt.
Auf dem Weg zur Wohngemeinde halten wir an der Milchmaschine. Für $2,50 füllt er dort seine Glasflasche auf. In der Community hat die Apfelernte angefangen und wir helfen, die Kisten zum Community Haus zu schieben.
In der Wohngemeinsachaft ist es wie in einem kleinen Dorf. Jeder hat sein eigenes Haus, einen Garten, eine Einkommensquelle. Doch dazu gibt es ein Community Kapital, von dem Festivals, ein kleiner Laden, Gemeinschaftsbeete und vieles mehr bezahlt werden.
Colin stellt uns seinen Nachbarn vor und wir lernen das große Community Gelände kennen. In Wainui startet auch der Abel Tasman Wanderweg, den wir eigentlich abwandern wollten, doch uns fehlt die Zeit und so begnügen wir uns mit einer Kurzwanderung am Strand. Es ist Flut und um von einem Strand zum anderen zu gelangen müssen wir durchs Wasser waten.
Abends fahren wir zurück nach Takaka, wo Colin und seine Nachbarin Aralyn an einer Geschichtenerzählung im Kino teilnehmen. Das Thema ist „Too late to turn back“ (es gibt kein zurück mehr) und jeder erzählt eine siebenminütige Geschichte aus seinem eigenen Leben. Heute ist Generalprobe und Roberto und ich dürfen mitkommen. Die Geschichten sind eindrucksvoll. Es geht um eine abenteuerliche Autofahrt durch den Schneesturm, eine Kreuzfahrt nach England, die erste Auslandserahrung die schon apprupt am Flughafen endet, einen Nachmittagsausflug in die Niederlande, das Outcoming eines schwulen Mannes, ein Tieftaucherlebnis und eine abenteuerliche Europareise. Alles sehr persönliche Geschichten, die berühren, erzählt von Leuten, die sonst eher ungern im Mittelpunkt stehen und reden. Wir fühlen und fiebern sofort mit ihnen und haben anschließend das Gefühl, die Erzähler schon lange zu kennen.
Wir essen viel selbst angebautes Gemüse, lernen vieles über Solarstrom und kriegen zum Abschied noch drei Döschen des berühmten Tui Balms mit, eines davon gegen Mücken und Sandfliegen.
Colin bringt uns zurück nach Takaka, wo ein pensionierter Zeitungsausträger mitnimmt, der jeden Tag über den „Hügel“ (von 0 auf 700 Meter und wieder auf 0) und zurück fährt und fast jedes Mal Anhalter mitnimmt.
Wir verbringen eine weiter Nacht bei Ken, der uns in die Welt der Blue Grass Musik einweiht und dann radeln wir bei Sonnenschein nach Nelson.
Von Motueka nach Nelson führt der Great Taste Radweg, dem wir eine Weile folgen. Ab und zu geht es dennoch zurück auf den Highway. Rauf und runter geht es und dazu ist einiges an Verkehr unterwegs. Ein Teil des Radweges ist nagelneu und führt am Wattenmeer entlang über eine Schwingbrücke und mehrere lange Holzstege. Es ist Ebbe und es riecht nach Nordsee.
Besonders die letzten Kilometer durch Nelson schlauchen, denn nun radeln wir nahe des Stadtverkehrs und über längere Hügel. Wir erreichen Kristins und Martys Haus, das keine zwei Kilometer vom Zentrum entfernt liegt, gerade bei Sonnenuntergang.
Kristin kommt aus Berlin, hat in Bremen studiert und wohnt nun schon seit vielen Jahren in Neuseeland. Zum Abendessen hat sie auch ihre neue Kollegin Jana und deren Freund Alex eingeladen, die ebenfalls 2 ½ Jahre lang mit dem Rad nach Neuseeland getourt sind.
Wie wir später herausfinden, sind wir alle im Herbst gestartet, haben in der Türkei in Adrenalin Village überwintert, so manche Nacht im gleichen Hostel verbracht, gleich lange gebraucht und nun in Neuseeland das Gefühl gehabt, dass eine Radpause (und etwas Einkommen) angebracht sind. Chefkoch Roberto zaubert Enchiladas und alle helfen. Wir haben einen großartigen Abend.
Den nächsten Tag verbringen wir in der Stadt, wo wir uns wieder mit Mark und King treffen. Die beiden sind in die gleiche Richtung unterwegs und wir beschließen, einen Teil der Strecke gemeinsam zu radeln. Wir sind bisher noch nie mit einem anderen Paar zusammen geradelt und freuen uns sehr.
Zwischen Nelson und Picton gibt es mehrere Straßen. Wir entscheiden uns für eine Kombination aus Highway und asphaltierter Nebenstraße. Mark und King radeln los, während wir noch gemütlich mit Kristin frühstücken. Dann folgen wir. Zunächst geht es über Radwege am Highway entlang, dann auf den Seitenstreifen und kaum dass es etwas bergig und kurvig wird, radeln wir auf der Straße ohne Seitenstreifen.
Vorbei geht es zunächst an grellgelben und roten Bäumen, bis wir uns irgendwann weiter oben inmitten von Nadelwäldern wiederfinden. Der Verkehr ist in Ordnung, denn all die vielen Langholztransporter sind zu unserem großen Glück in die Gegenrichtung unterwegs. Zwei Hügel geht es hinauf und hinunter, dann gönnen wir uns nach 50 Kilometern die erste Pause. Als wir das Dorf Canvastown erreichen, frage ich einfach ganz frech, ob die Chance besteht, dass wir in der Nähe zelten können. Wir dürfen unser Zelt gleich hinterm Wirtshaus aufstellen und beschließen, anschließend aus Dankbarkeit auf ein Bier hineinzugehen.
Ich finde Dorfkneipen ja immer wieder faszinierend. Es wird getratscht, getrunken und gelacht, jeder kennt jeden und es ist ein Highlight, wenn mal Besucher da sind. Heute Abend gibt es eine Tombola, die Einnahmen fließen in das Kapital des lokalen Veranstaltungsklubs. Wir kaufen je ein Los und gewinnen überraschend ein Paket voll Steaks. Die letzten Tage haben wir viele vegetarische Köstlichkeiten erlebt und heute kommt uns das Fleisch wie gerufen. Es ist eine kalte Nacht und wir nehmen unseren Gewinn mit ins kalte Zelt, damit die Katzen, Mäuse und Opossums sich nicht bedienen.
Wir wachen wieder im Nebel auf und packen das Zelt einfach nass ein. Weit ist es nicht mehr bis nach Picton und dort können wir alles trocknen. Nach 14 Kilometern haben wir uns warmgefahren und erreichen Havellock, wo Mark und King schon auf uns warten. Bei ihnen sind drei weitere Radler.
Gemeinsam schauen wir die Anzac Parade an, die zu Ehren der gefallen Soldaten aus dem ersten Weltkrieg gehalten wird. Am 25.05.1915 (also vor exakt 100 Jahren) führte die Schlacht von Gallipoli in der Türkei zu erheblichen Verlusten unter den australischen, neuseeländischen und tongaischen Soldaten. Um die wird am Anzac Tag getrauert.
Bald darauf radeln wir weiter, immer dem Queen Charlotte Drive nach. Der Weg ist leicht hügelig aber sehr schön. Es geht vorbei an den Marlborough Meerengen und an vielen kreativ gebastelten Briefkästen. Leider ist es weiterhin bewölkt und regnerisch, sodass wir die Aussicht nicht wirklich genießen können.
In Picton ziehen wir in ein gemütliches Hostel ein. Die Zeltplätze hätten uns fast das Gleiche gekostet.
Wir grillen unseren Gewinn mit Mark und King und verbringen einen gemütlichen Abend im Mehrbettzimmer. Niemand schnarcht, niemand furzt, niemand kommt mitten in der Nacht betrunken hereingetorkelt. Wir schlafen wirklich gut.
Die dreieinhalbstündige Fährfahrt hinüber auf die Nordinsel ist nicht zu spektakulär, da es weiterhin grau und regnerisch ist. In Wellington empfängt uns Stuart, der mit seiner Freundin Abby vor vier Monaten von Christchurch hier her gezogen ist. Die beiden mieten eineinhalb Zimmer ganz in der Nähe des Fährhafens und wir breiten uns bei ihnen aus. Die große Stadt ist für mich erstmal gewöhnungsbedürftig, denn seit Sydney im Februar 2014 war Christchurch mit seinen gut 300.000 Einwohnern das Beispiel einer „Großstadt“.
Wir besuchen das Museum und treffen uns mit Dania, einer Bekannten von zu Hause, die mit ihren beiden Söhnen Jasny und Elias für ein halbes Jahr hier her gezogen ist. Elias kenne ich nur als Baby und Jasny habe ich vor zehn Jahren auf Shetlandponys über die Weiden geführt.
Nun sind die beiden 10 und 14 Jahre alt und ich muss mich schwer zurückhalten, ihnen nicht gleich in die Wangen zu kneifen und zu kreischen „na ihr seit aber groß geworden!“.
Wellington ist verregnet vom ersten Tag an. Doch das macht uns nichts mehr aus. Mit einem warmen, trockenen Ort zum Zurückziehen ist irgendwie alles in Ordnung.
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