Mit dem Rad durch Neuseeland Teil 5: Mensch gegen Möwe
Land: Neuseeland
Von Haast bis Greymouth
Draus gelernt: Von irgendwem müssen die Sandfliegen ja leben
Drüber gelacht: Ein „richtiger“ Laden mit mehreren Regalen treibt uns fast Freudentränen in die Augen
Schönstes kleines Wunder: Eiskaltes Bud
Größte Herausforderung: draußen zu frühstücken
Geradelte Tage: 5 und eine halbe Stunde
Geradelte Kilometer: 346
Durchschnittliche Kilometer pro Tag: 69,2
Insgesamt bis Greymouth geradelte Kilometer: 18.127
Mit dem Rad durch Neuseeland: Von Haast nach Greymouth
Zum ersten und vermutlich einzigen Mal in Neuseeland erlauben wir uns zwei Betten im Mehrbettzimmer.
Der Grund dafür war eine Wetterwarnung des Departments of Conservation (DOC). Und während wir so gemütlich drinnen sitzen prasselt draußen schon der Sturm los. Wir sind heilfroh, nicht irgendwo im Wald zu stecken und nun gerade einen Zeltplatz zu suchen.
Leider schnarcht und furzt unser Mitbewohner und die Mücken hatten das Zimmer schon belagert bevor wir ankamen. Das wäre im Zelt nicht passiert. Aber im Zelt wären wir vermutlich ersoffen bei dem Wetter.
Am nächsten Morgen ist die Straße nass und die moosbewachsenen Felsen am Straßenrand gleichen kleinen Wasserfällen. Die Sandfliegen, die die ganze Nacht nichts zu futtern hatten, sind nun umso hungriger. Und von irgendwem müssen sie ja leben. Ich radle vorne und fungiere als Robertos Fliegenschild. Fünf Stück esse ich, eine landet in meinem Auge und mehrere in Ohren und Nase. Wir reiben uns dick mit Mückenschutz ein, aber es hilft nichts. Nach ein paar Stunden sehe ich aus wie ein Nummernschild nach zwei Tagen Autobahn.
Zunächst bleibt es noch ganz flach und ab und zu sehen wir sogar das Meer. Dann windet sich die Straße durch den Regenwald. Es ist einfach alles grün um uns herum. Jede Menge Farnarten bedecken den Boden, Moose und kleinblättrige Pflanzen nehmen Baumstämme in Beschlag und und dazu gibt es sogar Palmen! Aber die Blätter sind wieder Farn. Nun weiß ich, warum die Kiwis darüber nachdenken, ihre Flagge in einen Silberfarn zu wechseln.
Nachmittags halten wir an einem wunderschön gelegenen DOC Zeltplatz. Doch zum Feierabend machen ist das Wetter einfach viel zu gut. Blauer Himmel an der Westküste? Das muss man unbedingt ausnutzen.

Der schönste aller Zeltplätze kommt bei strahlend blauem Sonnenschein. Leider ist es noch viel zu früh am Tag und außerdem ist hier Sandfliegen-Territorium
Wir verbringen die Zeit mit Miguel und Javiera aus Chile, die im Fox Gletscher Dorf arbeiten und heute beide frei haben. Wir unterhalten uns super und treten dann für die letzten gut 20 Kilometer nochmal ordentlich in die Pedale.
Als wir das Dorf Bruce Bay erreichen, fährt gerade ein Mann mit langem grauen Bart und Muskelshirt auf seinem Rasenmäher aus einer Ausfahrt. Tony heißt er, und als wir ihn fragen, ob wir in der Nähe unser Zelt aufstellen können, schickt er uns zu seiner Frau Lynda.
Sie heißt uns sofort in ihrem frisch gemähten Garten willkommen und bietet uns außerdem an, selbstgemachte Pommes und frittierte Muscheln mitzuessen. Den beiden passiert es nicht zum ersten Mal, dass Fremde anklopfen und nach Schutz fragen. Wir dürfen uns sogar ins Gästebuch eintragen.
Eigentlich wohnen Lynda, ihre Mutter Mary und Tony auf der Nordinsel. Doch zur Whitebait Saison (im September) kommen sie jedes Jahr nach Bruce Bay und bleiben dann mehrere Monate.
Whitebait ist überhaupt der Gaumenschmaus der Westküste. Jeden September ist die ganze Küste pickepackevoll und die Fischer brauchen nur ihre Netze ins Wasser zu halten und schon haben sie jede Menge der kleinen Fischchen gefangen. Die übrigen Monate im Jahr werden sie eingefroren und besonders gerne als Burger verkauft.
Lynda packt uns noch etwas selbst getrocknetes Gemüse ein, sodass wir immer gesund kochen können. Wir schlafen super und radeln im leichten Niesel los.
Das Wetter bleibt grau. Die Wolken sitzen tief in den Bäumen des Regenwaldes und wir irgendwo mittendrin. Als wir schlussendlich die Abfahrt zum Fox Gletscher erreichen, beschließen wir, es trotzdem zu wagen. Oft verdirbt das Wetter nämlich die Aussicht und ein langer Fußmarsch kann dann umsonst sein. Doch zum Gletscher sind es nur vier Kilometer (bergauf natürlich) und eine halbe Stunde Fußweg.
Während wir so über Bäche staksen und die Geröllfelder hinauflaufen, lacht jemand neben mir. „Also wir sind hier schon richtig auf dem Weg zum Gipfel?“ fragt er. Auf seiner Stirn stehen Schweißperlen und er keucht schon ganz schön. „Klar. Dauert nur noch vier Tage, dann ist der Marsch geschafft!“, witzel ich zurück. „Na dann hoffe ich aber dass unterwegs ein McDonalds ist!“der lange grauweiße Bart wackelt hin und her, als der Mann sich scheckig lacht.

Seit Robertos wasserdichte Schuhe den Geist afgegeben haben, muss es nun feuchten Untergrund vermeiden. Und das ist nicht so einfach an der Westküste!
Pappy Mellon heißt er und in den USA ist er bekannt für seine Bluegrass Musik. Gemeinsam mit seiner Frau besucht er nun ein neuseeländisches Paar, dass die beiden vor geschlagenen 25 Jahren zu sich eingeladen hat.
Bald erreichen wir den Aussichtspunkt und die Sicht ist wunderbar klar. Von Nebel und Niesel keine Spur mehr. Anfassen kann man den Gletscher nicht, dafür muss man eine geführte Tour buchen, aber man kommt so nah dran, dass man ihn wirklich gut sehen kann. Wir sind ganz hin und weg. Ein Gletscher der von Regenwald umgeben ist und den man so leicht zu Fuß erreicht, das ist schon was ganz Besonderes.
Auch dem Rückweg freunden wir uns mit Poppy und seiner Gruppe an. Am Parkplatz reicht er uns ganz unverhofft eine seiner CDs (super Musik!) und zwei eiskalte Budweiser Biere. Wow. Wir wollen die Biere am liebsten gleich köpfen, doch es ist kalt und schon spät und wir haben den ganzen Tag lang noch nichts gegessen.
Stattdessen fahren wir den traumhaften Regenwaldweg entlang ins Fox Gletscher Dorf (die Einheimischen sagen einfach „Fox“), setzen uns in eine Kneipe und schenken heimlich mit Bud nach.
Im Dorf haben wir das erste Mal seit dem Hawea See kurz nach Wanaka, wieder Handyempfang. Javiera und Miguel haben uns geschrieben und laden uns herzlich zu sich nach Hause ein.
Wir verstehen uns wunderbar mit dem beiden und bleiben gleich noch eine weitere Nacht, denn am folgenden Tag kommt Richard.
Richard kommt aus England und ist in Australien fast an unserem Campingplatz vorbeigeradelt, doch wir haben ihn rechtzeitig gestoppt und zum Frühstück eingeladen. Nun tourt er durch Neuseeland. Leider in die andere Richtung.
Wir kochen alle gemeinsam, lernen die Mitbewohnerin Sarah kennen, sowie einige der Nachbarn. Javiera und Miguel erzählen uns von ihrem Leben im kleinen Dorf „Fox“ in dem jeder jeden kennt.
Am nächsten Morgen trödeln wir extra lange, denn es ist grau und nieselig und wir hoffen, dass sich das Wetter bald bessert. Leider ist dem nicht so. Im Gegenteil. Als wir es uns gerade auf den Sätteln bequem machen, schüttet es los und Blitz und Donner jagen sich. Egal, es ist schon fast Mittags und dafür haben wir ja schließlich Regenhosen und –jacken im Gepäck. Die 25 Kilometer vom Fox Gletscher zum Franz Josef Gletscher sind ziemlich hügelig und bergauf bin ich dann doch ganz froh dass mir nicht die Sonne auf den Buckel scheint und den Schweiß aus allen Poren treibt.

Zwei Chilenen, ein Mexikaner, ein Engländer und eine Deutsche. Wenn wir alle in eine Bar gingen, könnten wir einen Witz draus machen.
„Franz“, wie die Franz Josef Gletscher Stadt überall genannt wird, ist um einiges größer als Fox und verfügt sogar über einen richtigen Laden mit mehreren Regalen. Wir sind ganz aus dem Häuschen und langen zu und stehen bald bei stolzen $17,58 für einen Mittagssnack plus $32,83 für etwas Proviant für Unterwegs. Ganz egal, wie viel wir auch Preise vergleichen, Marken vermeiden, und wie oft wir versuchen, gratis zu zelten, unseren gemeinsamen täglichen Ausgabedurchschnitt können wir einfach beim besten Willen nicht unter $50 drücken. Auf der gesamten restlichen Reise (Australien ausgenommen) lag er bei etwa €13 für beide, inklusive Visa, Reparaturen, Wohnen, Essen und Gesundheit. Oft auch weniger.
Immerhin sind wir gut gestärkt. Den Gletscher selbst lassen wir dennoch links liegen. Während der Mittagspause schien zwar die Sonne, aber kaum dass wir unsere Siebensachen wieder zusammenpacken, zieht sich der Himmel erneut zu und kurz darauf prasselt es nur so auf uns herab. Da haben wir keine Lust auf einen Umweg und eine Wanderung.
Von nun an ist es weniger hügelig und der dichte Regenwald wechselt immer mal wieder mit Weiden und Ackerbau ab. Erst lange später erreichen wir Whakaroa, einen Ort mit Unterschlupf. Wir parken die Räder und beratschlagen uns. Der Regen prescht heftiger und wir sind klitschnass. Das Zelt auch, denn wir haben vergessen, es zum Trocknen aufzuhängen. Ein gemütliches kleines Landhotel gibt es mit Doppelzimmern vom Spottpreis von $60. Das ist zwar nur die Hälfte von einem regulären Zimmerpreis anderswo, aber für uns trotzdem viel zu viel. Wir fragen, ob wir nicht irgendwo unser Zelt aufstellen können und haben Glück. Für $8 dürfen wir beide im Garten übernachten und die Toilette mitbenutzen (die allerdings versehentlich die Nacht und den Morgen über zugesperrt ist). Das ist günstiger als ein DOC Campingplatz, wo wir meistens $6 pro Nase zahlen.
Kaum haben wir alles ausgehandelt, verschwindet auch schon die Regenwolke und man kann sogar einen kleinen Streifen blauen Himmels sehen! Wir stellen das Zelt trotzdem auf. Es ist zu früh zum Schlafen, also gehen wir in den Pub des Hotels, wo wir ein Bier trinken und ich beschließe, dass es nun wirklich allerhöchste Zeit ist, dass ich mal den berühmten Whitebait probiere. Für $12 bestelle ich ein Whitebait Sandwich und staune nicht schlecht. Statt eines Baguettes mit jeder Menge kleinen Fischen, bekomme ich zwei ungetoastete Scheiben weißen Toasts mit einer Art dünnem Omlett drin. Bei nähererer Betrachtung kann ich im Omlett einige kleine Fischchen entdecken, die – für sich allein lange gekaut – auch wirklich gut schmecken. Alles in allem ist das „Sandwich“ aber winzig, fad und macht weder mich noch Roberto satt. Nicht einmal die Zitronenscheibe, die im Menü stand, war mit dabei. Wir sehen einander an und können uns nicht mehr halten vor Lachen.
Ich unterhalte mich mit einigen älteren Herren und bekomme den lokalen Tratsch mit. Es gibt jetzt nach langer Zeit wieder einen Polizisten vor Ort, aus Auckland kommt er. Und der Ire Dougal überlegt, zurück nach Irland zu ziehen. Dann geht es um die alten Zeiten, in denen der Schienenverkehr bis nach Ross fuhr und nicht nur bis nach Greymouth. Da war alles viel einfacher! Und überhaupt die alten Zeiten! Es gab sogar mal ein Jahr, da gab es Schnee! Da hat jemand sofort ein Bild vom Hotel gemacht, das hängt jetzt eingerahmt im Flur.
Der größte Teil der Nacht ist trocken, doch um unsere Klamotten und Schuhe zu trocknen, reicht das noch nicht. Wir müssen uns also wieder in die feuchten Sachen hineinzwängen. Zum Glück ist der Tag nur grau aber nicht sehr nass. Außer dem Mount Hercules (klingt ziemlich angsteinflößend, war aber machbar) gibt es auch keine wirklich schweren Passagen.
In Harihari halten wir für einen Snack und treffen prompt auf vier weitere Radler, die alle in unsere Richtung fahren. Irgendwie sind es immer die trockenen Samstage, an denen wir die meisten Radler treffen. Zwei radeln schon weiter, als die anderen beiden ankommen. Die Neuankömmlinge beschließen, dort zu bleiben, also radeln wir eben wieder allein weiter. Es ist ein langer, aber trockener Tag.
Ein nettes altes Ehepaar, das wir nach dem Zustand einer in die Karte eingezeichneten Schotterstraße fragen, legt uns diese direkt ans Herz. Die Straße ist in super Zustand, kürzer und flacher als die Hauptstraße, und nicht ein einziges Auto begegnet uns. Dazu sind wir endlich wieder so dicht am Meer, dass wir es hören können! Sehen leider nicht, denn dazu gibt es zu viel Gebüsch. Wir schaffen es bis zum DOC Campingplatz bei Hokitika.

Wir halten die Augen nach Kiwis auf, entdecken aber keine. Die süßen Puschel sind allerdings auch nachtaktiv.
Am nächsten Morgen ist wieder starker Regen gemeldet. Wir wachen aber auf und hören kein Plitschplatsch auf dem Zelt, also springen wir aus den Federn und packen unsere Sachen solange sie noch trocken sind.
In Hokitika kaufen wir ein halbes gebratenes Huhn, einen fertigen Kaffee, Brot, Käse, Saft und etwas Schokolade und radeln durch den nordseeküstenartigen Wind bis zum Strand, wo es Picknicktische gibt. Die Hälfte des Kaffees landet auf meinem Arm, als ich versuche, im Gegenwind beim Rad zu besteigen.
Als wir also so da sitzen und krampfhaft versuchen, schwere Dinge wie das Marmeladenglas auf leichte Dinge wie Löffel, Papier und kleine Käsepäckchen zu stellen, sodass der Wind sie nicht sofort vom Tisch reißt, kommen auch schon die ersten Möwen. Sie brüllen laut und während zwei einfach wie aufgehängte Tischlampen im Wind direkt über uns schweben und auf den richtigen Moment warten, schleichen sich vier weitere vom Boden aus an.
Egal. Ich bin ausgehungert und will jetzt Frühstücken. Ich stecke also gerade ein Stück Huhn in ein Stück Brot und wedel dabei die Möwen weg, als der erste fette Regentropfen auf dem Tisch landet. Es dauert wenige Sekunden und wir sitzen in einem ausgewachsenen Schauer. Natürlich ohne Regenhose.
Kurz darauf stehen wir neben dem Klohäuschen, dem einzigen etwas geschützten Ort, den wir auf die Schnelle erreichen können, halten krampfhaft das mittlerweile nicht mehr so heiße Huhn und die anderen Tüten und versuchen dabei, die Regenhosen aus den Packtaschen zu wühlen.
Ich will mich einfach hier und jetzt nebens Klo setzen und essen, doch Roberto will davon nichts wissen. Also radeln wir zu einem Café, wo wir ganz ungeniert fragen, ob es in Ordnung ist wenn wir eine Kleinigkeit kaufen und dann den Draußentisch mit selbst Mitgebrachtem beschlagnahmen. Wir dürfen uns sogar nach drinnen setzen!
Gut gestärkt geht es weiter.Der Wind bleibt gleichstark, aber kommt zu unserem großen Glück die meiste Zeit direkt vom Meer, als von unserer Linken. Wir hatten mit dem Gedanken gespielt, dem Westcoast Wilderness Radweg zu folgen, der mit einem Umweg von unserem Zeltplatz bis hinein nach Greymouth führt, doch bei dem Wetter sehen wir da keinen Sinn, also folgen wir eben wieder der Hauptstraße und nur kleinen Passagen des Radwegs.
In Greymouth erwartet uns schon Ritsuko. Mit ihr habe ich in Christchurch ein Jahr lang Sushi gerollt und verkauft. Hauptberuflich lernt sie allerdings Krankenschwester und macht nun eine Art Praktikum in Greymouth.
Dafür hat sie eine Kabine im Holiday Park gemietet, in der genug Platz für uns drei ist. Es ist warm und trocken und Ritz hat uns sogar ein leckeres japanisches Curry gekocht! Wir haben eine super Zeit mit ihr.
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