Mit dem Rad durch Neuseeland Teil 4: Das Sandfliegen-Territorium
Land: Neuseeland
Von Luggate bis Haast
Draus gelernt: Wer den Regenwald genießen will, muss den Regen aushalten
Drüber gelacht: Eine Tagesfahrt für einen Burger
Schönstes kleines Wunder: Tanz unter den Sternen
Größte Herausforderung: In der Achterbahn nach Queenstown
Geradelte Tage: 3
Geradelte Kilometer: 166,7
Durchschnittliche Kilometer pro Tag: 55,57
Insgesamt bis Haast geradelte Kilometer: 17.787
Mit dem Rad durch Neuseeland: Von Luggate (Wanaka) über den Haast Pass nach Haast
Der Campingplatz in Luggate gefällt uns zwar, aber die Gesellschaft nicht. Neben unserem Zelt stapeln sich Bierkartons, dreckiges Geschirr, umgeworfene Stühle und halb leere Weinflaschen. Dazwischen Müll und Zelte. Gefeiert wird sowohl tagsüber als auch nachts. Dennoch bleiben wir zwei Nächte, denn Roberto will nach Queenstown. Dort waren wir bereits im September mit seinen Eltern, aber diesmal soll es nur ein Tagesausflug werden, mit dem Ziel einen Burger zu essen. Die Burger von Fergburger sind so beliebt, dass zu jeder Tages- und Nachtszeit eine lange Schlange darauf wartet, etwas zu bestellen.
Und sie sind es tatsächlich wert. Da es aber 140 Kilometer und ein hoher Pass für Hin- und Rückweg sind, beschließen wir, die Räder stehen zu lassen und unser Glück per Anhalter zu versuchen. Ein Dachdecker namens Andy nimmt uns mit bis an die Kreuzung, wo wir von vier Brasilianerinnen in ihrem Wohnwagen mitgenommen werden. Sie sind alle zwischen 20 und 21 Jahre alt, studieren in Australien und reisen nun in den Osterferien durch Neuseeland. Keine von ihnen hat jemals ein so großes Auto gefahren, doch Marianna wird als Fahrerin auserkoren. Es ist eine wilde Fahrt. Die Wasserkanister sausen den Flur entlang, die Schubladen öffnen und schließen sich selbst und die Leiter fällt fast von der Wand. Marianna schmeißt das Lenkrad herum und ich ärgere mich, dass ich die Reisetabletten nicht mitgenommen habe. Als es gerade die engsten Serpentinen herunter geht, stehen die anderen beiden auf und durchsuchen alle Schränke nach Müsliriegeln. Die vier sind erfrischend jung und abenteuerlustig. Es ist ein bisschen wie in der Achterbahn. Wir haben unterm Strich mehr Spaß als Angst.
Auf unseren Tipp sehen wir sie kurz darauf beim Fergburger wieder. Und die Fahrt hat sich absolut gelohnt! Unsere Burger sind weltspitze und jede Strapaze wert. Wir schlendern nur kurz durch die Stadt und laufen dann die sechs Kilometer zum Kreuzung hinauf, wo uns Anna mitnimmt.
Sie wohnt mit Mann und drei Kindern in Albert Town, gleich neben Wanaka, und schlägt uns vor, die etwas längere Route durch Cromwell zu fahren und so das kleine Auto nicht mit dem steilen Berg zu belasten. Wir finden die Idee großartig. Anna gibt uns eine richtige Tour. Wir halten an einer ehemaligen chinesischen Goldgräbersiedlung mit Räumen, die in Höhlen der Abhänge überm Fluss gebaut sind und im Winter eiskalt gewesen sein müssen.
Sie zeigt uns die Weinfelder (auf denen die Hälfte unserer Mitzelter zu arbeiten scheint) und erklärt, dass im Winter manchmal Hubschrauber niedrig über den Pflanzen fliegen, um den Frost fernzuhalten. Außerdem erklärt sie uns, wie der Dunstan See ein ganzes Dorf überschwemmt hat, denn als sie klein war, gab es den Stausee noch nicht. Das Dorf, Cromwell, wurde kurzerhand ein paar Kilometer weiter wieder aufgebaut und ist nun bekannt für seine übergroße Fruchtstatue.
Die Fahrt ist sehr kurzweilig und auch Anna ist froh, uns getroffen zu haben. Wir sollen auf dem Weg unbedingt auf eine Tasse Tee hereinschauen.
Den halben nächsten Tag verbringen wir in und auf dem Weg nach Wanaka, denn erst auf halbem Wege fällt Roberto ein, dass wir unser Essen im Kühlschrank vergessen haben. In Wanaka kaufen wir nochmal tüchtig ein, denn nun wird es für einige Tage höchstens kleine Tante-Emma Läden geben. Wir essen am See zu Mittag und radeln erst am Nachmittag weiter.
Anna hat gerade Besuch von ihrer Schwester und deren Kindern und wir bleiben eine geschlagene Stunde. Heute schaffen wir gerade einmal 32 Kilometer. Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir einen Holiday Park. Überall standen Schilder, auf denen das wilde Zelten ausdrücklich verboten wurde, also fahren wir notgedrungen rein. $32 soll die Nacht für uns beide kosten. Mit Dusche und Küche und Spielplatz und Seeblick. Zähneknirschend zücke ich die Karte. Uns hätte ein simpler DOC-Zeltplatz gereicht, doch den nächsten hätten wir heute nie mehr erreicht.

Anna (rechts) und ihre Familie
Als ich gerade ins Bett will, schlägt Roberto vor, noch schnell zum See zu spazieren. Der Mond ist gerade aufgegangen und spiegelt sich so hell im schwarzen See, dass es uns vorkommt wie am Tag. Links sehen wir die steilen Berge, die sich wie im Milford Sound ins Wasser stürzen, rechts blinken die Lichter des Dorfes Lake Hawea. Es ist unglaublich romantisch. Außerdem gibt es kein Gegröle von Mitzeltern. Ein junger Mann spielt leise die Gitarre, ein holländisches Paar sitzt auf einer Bank am Ufer und eine Familie aus Hong Kong bespaßt ihre Hunde.
Am nächsten Tag folgen wir dem See weiter. Die Sonne scheint, aber der Wind bläst heftig von vorn. Die Straße ist nun sehr eng und wir müssen höllisch aufpassen. Wir radeln über „das Genick“ (the Neck) vom Hawea See zum Wanaka See und folgen diesem bis zum Ende.
Bald erreichen wir den Mount Aspiring National Park und urplötzlich verwandelt sich das Farmland in einen ausgewachsenen Wald. Die Vögel zwitschern, die Luftfeuchtigkeit steigt, der Wind verpufft und die Bäume spenden kühlen Schatten. Einfach so.
Heute haben wir eine Sechsergruppe, drei Zweiergruppen und ein paar einzelne Radler gesehen. Das ist Rekordtag. Nicht einmal im Radlermekka von Zentralasien war je so viel los. Alle anderen waren allerdings mit Rückenwind und bergab unterwegs und winkten uns fröhlich zu, während wir mit Steigung und Böen kämpften.
Wir verbringen die Nacht auf dem DOC Campingplatz. Doch bevor wir diesen betreten, halten wir an und reiben alle freien Hautstellen mit Moskitomittel ein. Die Sandfliegen, die die Westküste der Südinsel belagern, sind schon bis hier her vorgedrungen und wir wollen nicht zum Abendessen herhalten. Die Sandfliegen leben übrigens nicht unbedingt in sandigen Gebieten. Sie leben überall dort, wo es hohe Luftfeuchtigkeit, viel Schatten, nicht zu viel Wind und ein paar Gewässer oder viel Nebel gibt. Sandfliegen heißen sie nur wegen ihrer kleinen Größe.
Die Picknickbank ist besetzt. Ich sehe leere Bier- und Weinflaschen und schrecke schon zurück, um am anderen Ende des Platzes das Zelt aufzubauen, denn der Schreck von Luggate sitzt noch zu tief, doch da steht Roberto schon inmitten der Gruppe und hilft, das Lagerfeuer in Schwung zu bringen. Zu meiner Erleichterung handelt es sich um zwei Familien mit fünf Kindern, die alle bestimmt irgendwann ins Bett müssen und bei denen bestimmt nicht morgens um drei gegrölt wird.
Wir gesellen uns also dazu und verbringen einen super Abend mit dieser netter Gruppe. Der nächste Tag ist Ostersonntag und die beiden größten Jungs geben uns sogar von ihren Ostereiern ab. Ich teile Cashews und selbstgefundene Walnüsse.
Nun geht es immer tiefer in den Regenwald hinein. Die Straße ist klitschnass, denn wir befinden uns mitten in einer Wolke. Doch bald geht es ordentlich bergauf und wir lassen die Wolke unter uns. Wie zwei Steinwände stehen die Bäume und Büsche auf beiden Seiten des Weges.
Der Verkehr ist aushaltbar. Das Mückenmittel treibt mir den Schweiß aus den Poren und es tropft mir von Nase und Augenbrauen. Doch bald ist es geschafft und wir stehen auf dem Haast Pass. Von nun an geht es größtenteils bergab bis ans Meer.
Der Haast Highway, der durch den Mount Aspiring Nationalpark führt, wird vom DOC organisiert und es gibt viele Infotafeln, auf denen genau erklärt wird, wo die nächste Toilette steht, wie lang der nächste Wanderweg dauert und wo man zelten darf. Da hat das DOC volle Arbeit geleistet (Broschüre des Highways als PDF)
Wir schlendern zu zwei Wasserfällen, unter einer Brücke hindurch und machen Pause am nächsten Zeltplatz. Die steilen sattgrünen Hügel mit ihren Wolken und Nebel, erinnern uns stark an Südchina und Teile von Laos, Malaysia und Thailand. Doch bei näherem Hinsehen erkenne ich, dass es hier unglaublich viele Farne und Moose gibt, während Südostasien mehr große Pflanzen mit dicken welligen Blättern hatte.
Zwanzig Kilometer vor der Westküste nieselt es. Die Westküste ist nicht nur für seine Sandfliegen bekannt, deren Stiche volle zwei Wochen jucken sollen, sondern auch für riesige Massen an Regen. Die Wolken, die von Westen angeschoben werden, quetschen sich gegen die hohen Alpen und regnen sich halb leer, während sie hoch genug ansteigen und weit genug abkühlen, um die Alpen mit Schnee zu versorgen.
Ein paar Tropfen landen noch östlich der Alpen, dann hat es sich ausgeregnet. Daher hatten wir auf dem Alps2Ocean meist so gutes Wetter. Wenn wir also den Regenwald bewundern wollen, dann müssen wir auch den Regen aushalten. Hier und da stürzt sich ein Wasserfall einen Hang herunter, wir überqueren zahlreiche Flüsse und Bäche mit kreativen Namen wie „Mossy Creek“ „Sheepskin Creek“ und „Muddy Creek“ und immer wieder tropft es auch von moosbehangenen Felswänden. Das ist es wohl wert.
Am Abend erreichen wir Haast, wo wir drei Möglichkeiten haben: ein Backpackers Hostel mit Zeltplätzen für $16 pro Nase, ein Holiday Park für weit mehr, oder eine DOC Campsite in 50 Kilometern Entfernung. Wir entschließen uns für die erste Option und verbringen den Abend im mollig warmen Gemeinschaftsraum mit Sesseln, Fernseher, Küche und Geschirr.
Am nächsten Tag sind wir erst spät unterwegs. Am DOC Office halten wir und fragen nach Zeltmöglichkeiten und dem Wetter. Es gibt eine Sturmwarnung für die Nacht und ein Wanderweg ist deswegen sogar gesperrt. Wir sind uns unschlüssig. Zeitlich hinken wir ziemlich hinterher, doch eine Sturmwarnung ist mehr als nur ein paar ungemütliche Schauer.
Wir beschließen auf Nummer sicher zu gehen und eine zweite Nacht im Backpackers dran zu hängen. Diesmal allerdings im Mehrbettzimmer. Draußen schüttet es wie aus Eimern und wir haben es warm.
Recent Comments