Von Verkehrsrowdies und Schokocroissants – Mit dem Rad durch Frankreich
Land: Frankreich
Von Avignon nach Lyon
Draus gelernt: Immer auf anderer Radler Tipps hören
Schönstes kleines Wunder: Lagerfeuerromantik
Gesichtete Tiere: Raben und Pferde
Geradelte Tage: 5
Geradelte Kilometer: 307
Durchschnittliche Kilometer pro Tag: 61,4
Insgesamt geradelte Kilometer: 31.496
Letzten Blog verpasst? Hier kommt er: Im Dreierteam nach Frankreich – Radreise durch Südfrankreich
Blog in English:
Mit dem Rad durch Frankreich
Der Pausentag in Avignon tut uns gut. Annes Haus ist gemütlich und in der Garage gibt es eine Schlafecke extra für Radler. Als wir am nächsten Morgen starten, hat der Regen endlich aufgehört.
Es ist schon Ende November, aber da wir heute flott radeln, geht es auch im T-Shirt ganz gut. Von hier bis Lyon würden wir der Rhone folgen. Der Radweg Via Rhôna würde gegen Ende des Tages beginnen, er führt bis hinauf in die Schweiz. In der Zukunft soll er auch bis hinunter an die Mittelmeerbucht Golfe du Lion, ausgebaut werden.
Wir radeln durch Schotter und Pfützen und erreichen schlussendlich zu unserer Überraschung eine befestigte aber wenig befahrene Landstraße. Perfekt! Aus Erfahrung haben wir gelernt, dass es kontraproduktiv ist, so dicht wir möglich am Straßenrand zu radeln, da sich dann die Autofahrer einfach vorbeiquetschen, egal ob es Gegenverkehr gibt.
Heute radeln wir auf dem rechten Drittel unserer Fahrspur und rutschen nur dann weiter zur Seite wenn wir selbst sehen können, dass der Weg frei ist. Das klappt überraschend gut. So rollen wir durch bildschöne französische Dörfer, futtern zwischendurch ein belegtes Baguette am Flussufer und genießen den Tag.
Am Abend erreichen wir die Via Rhôna. So richtig müde sind wir bei Sonnenuntergang noch nicht. Diego will einfach weiterradeln, aber Roberto und ich haben gelernt, lieber Schluss zu machen, solange man einen scheinbar guten Zeltplatz noch von einem überschwemmten Feld, einer dornenübersähten Wiese und einer Matschpiste mit Kuhfladen unterscheiden kann.
Und tatsächlich, in der Dämmerung entdecken wir nach mehreren Kilometern voll feuchter Felder eine recht versteckte trockene Lichtung in einem Waldstück. So ab vom Schuss bekommt Diego endlich sein Lagerfeuer. Warum wir nicht häufiger ein Feuerchen entzünden frage ich mich erst heute.
Es ist urgemütlich und die Dosenravioli schmecken neben dem knackenden Feuer und unter den funkelnden Sternen gleich doppelt so gut. Zum Nachtisch gibt es Rebekahs heiße Schokolade. Lagerfeuerromantik in seiner schönsten Form.

… sowie auf unserem eigenen breiten Seitenstreifen. So ist das Radeln in Frankreich mal so richtig entspannend. (Foto von Diego)
Die volle Blase weckt mich wie immer kurz nach Sonnenaufgang. Roberto steht gleich mit auf. Diego fühlt sich von unserer frühen Aufsteherei unter Druck gesetzt. Dazu kommt dass wir die schlechte Angewohnheit haben, erst zu radeln und dann zu frühstücken.
Und das Ganze natürlich gegen die Kälte in einem flotten Tempo. Für Diegos Kreislauf ist das Gift, aber leider denken wir nur an uns und radeln bis wir einen tollen Platz gefunden haben, auch wenn es 20 Kilometer dauert.
Mit dem Zeitdruck, bis Weihnachten zu Hause sein zu wollen und den immer kürzer werdenden Tagen gönnen wir uns kaum noch Pausen. Diego hatte eigentlich an Urlaub auf dem Rad gedacht, als er beschlossen hatte, sich uns anzuschließen.
Das hier gleicht eher einem Endspurt. Zum ersten Mal knackt es mit der Harmonie. Im malerischen Bourg Saint Adèol machen wir endlich Frühstückspause.
Bei einem frischen Kaffee, einem Mille Feuilles und ein paar Schokocroissants kotzen wir uns mal so richtig aus, schmollen ein paar Minuten, reden dann etwas ruhiger, dann gibt es eine Gruppenumarmung und von jetzt an wollen wir mehr auf die Bedürfnisse der jeweils Anderen achten.

Der erste Tag startet mit einem Platten. Ich glaube den letzten Plattfuß hatte ich irgendwo in Nordamerika. Foto von Diego
Gut gelaunt geht es weiter. Mittlerweile ist auch die Sonne da und meine Hände sind aufgetaut. Nach wenigen Kilometern auf dem Radweg kommt uns eine Gruppe von Wanderern mit Rädern entgegen. „Route blockiert!“, rufen sie uns auf Französisch zu.

Bei all den überschwemmten Feldern können wir von Glück reden, dass wir ein gemütliches und trockenes Plätzchen gefunden haben. Foto von Diego
Ich will umdrehen, denn die Einheimischen kennen sich eigentlich immer aus. Aber Diego und Roberto sind sicher, wir können die Räder bestimmt um die Blockierung herum tragen. Schlussendlich erreichen wir eine Furt. Das Wasser scheint nicht allzu hoch zu stehen.

Gemütliches Päuschen am Vortag. Wir lassen es uns giut gehen und genießen was die französische Küche für unser Budget hergibt.
Schwuppsdiwupps hat Diego Mut gefasst und strampelt durch den Fluss. Es ist tatsächlich nicht tief, aber auf den letzten Metern geht es bergauf und Diego, der mit hohem Tempo im hohen Gang gestartet ist, muss absteigen. Das Wasser reicht ihm gerade eben bis zu den Knöcheln, aber es ist genug um die Schuhe unter Wasser zu setzen.

Das ist doch noch machbar. Im Handumdrehen sind wir fast trockenen Fußes auf der anderen Seite. Foto von Diego.
Roberto und ich ziehen unsere Schuhe aus, schalten in einen niedrigeren Gang und radeln ihm hinterher. Na das war ja wirklich ein Kinderspiel. Wir radeln weiter und machen uns über die wandernden Radler lustig, die dieses bisschen Wasser scheinbar für ein unumgehbares Hindernis gehalten haben. Das sind wohl nicht so abenteuerfreudige Leute wie wir.
Es dauert keine zwei Kilometer, da stehen wir vor einer weiteren Furt. Diese sieht aber bei Weitem tiefer aus. Mit dem Rad traut sich keiner hinein. Diesmal nehme ich Einen fürs Team. Ich ziehe die Schuhe aus und die Hosen hoch und fange an zu waten.
Drei Meter später reicht mit das kalte Wasser schon bis zu den Oberschenkeln. 25 Meter fehlen noch. Ich wate also wieder raus, ziehe meinen Badeanzug an und mache mich erneut auf den Weg. Die Strömung flößt mir Respekt ein, aber ich schaffe es vorbei.
Bis kurz unter die Schultern geht mit das Wasser am tiefsten Punkt. Selbst ohne Strömung würde ich hier nur ungern all unser Hab und Gut übers Wasser tragen. Ich erreiche die andere Seite und wate dann zurück. So habe ich wenigstens mal Ende November in Frankreich gebadet. Schnell abtrocknen und zurück in den dicken Fleecepulli.
Mit geknicktem Ego, triefenden Socken und nicht mehr ganz so großer Klappe drehen die drei Abenteuer-Häuptlinge schließlich um. Eine Mutter die uns mit ihrem kleinen Sohn entgegen kommt, warnen wir auch noch vor ihrem Schicksal. Sie fragt nach der Wassertiefe und ich deute auf mein Schlüsselbein. Die Dame ist cleverer als ich und dreht noch vor der ersten Furt um.
Wir radeln also wieder zurück zur letzten Abzweigung an der auch tatsächlich ein „Route nicht passierbar“-Schild steht, das wir aber vermutlich – hätten wir es eher gesehen – genauso ignoriert hätten.
Über ein paar Nebenstraßen radeln wir einen Umweg zurück zur Rhone. Mit Blick auf die Burg von Viviers setzen wir uns an eine Picknickbank am Ufer und genießen nach nicht einmal 20 geradelten Kilometern ein gutes Mittagessen.

Nach dem Baden müssen wir uns erstmal stärken. In der Sonne trocknet auch das noch feuchte Zelt ganz schnell.
Der Weg führt uns über eine lange Hängebrücke, vorbei an zwei weiteren Burgen und immer entlang der Rhone. Vor einem verwirrenden Straßenschild halten wir. Es wird bald dunkel, aber da steht wieder etwas von „Route“ und ein Weg ist rot eingezeichnet.

Diego hat eine App, die Schrift direkt übersetzt. Aus dem Ergebnis werden wir allerdings genauso wenig schlau, wie aus dem Original.
Man solle rechts abbiegen steht neben dem Pfeil, aber laut der abgebildeten Karte ist die rechte Route nicht fertig. Wir werden nicht so recht schlau. Ein paar Rennradler erklären uns schließlich das Schild. Mittlerweile ist uns kalt und es wird spät und wir beschließen Feierabend zu machen.
Vorher wollen wir im Dorf noch ein paar Happen zu Essen und ein Fläschchen Wein kaufen. Wir irren ein wenig durch das winzige Dorf, bis Roberto einen Passanten anspricht. „Entschuldigen Sie, ich bin ein bisschen verloren. Wo kann ich bitte Bier oder Wein finden?“, ist das Ergebnis.
Zu viele Sprachen verwirren. Diego und ich lachen uns schlapp, aber der nette Passant erklärt uns den Weg zum Kiosk, wo wir die letzten drei Biere trinken, um die Zeit abzuwarten, bis der Imbiss gegenüber aufmacht. Zu unserem Kebab im Imbiss bekommen wir noch jeder einen Tee geschenkt.
Man sieht uns wohl an, dass uns die Kälte in die Knochen gestiegen ist. Wir sind dankbar, genau das haben wir jetzt gebraucht. Im Dunkeln holpern wir zurück zur Kreuzung, wo wir die Zelte auf einem Picknickplatz aufbauen. Es ist die bisher kälteste Nacht in Frankreich.
Roberto und ich streiten über irgendeinen Kleinkram, aber ich bin beleidigt und entkopple die Schlafsäcke. Heute schläft jeder in seinem eigenen Schlafsack. Das bereue ich schnell, schließlich muss ich jetzt meine Eisfüße selbst auftauen und kann erst Stunden später einschlafen.
Am nächsten Morgen ist es sogar noch kälter und dazu neblig. Wir bleiben länger liegen als sonst, aber irgendwann wird der Druck auf der Blase zu groß. Zum kalten Frühstück machen wir uns ein paar Liter Tee und trinken den Rest der Trinkschokolade.
Es hilft nichts, raus aus der dicken Jacke, dem dicken Fleece und den dicken Handschuhen, rein in Windbreaker und dünnes Fleece. Brrrrr. Sonst würde ich sofort schwitzen und anschließend in den nassen Sachen noch mehr frieren. Der Wind weht kräftig – direkt von vorn. Trotz der dünnen Klamotten in der Kälte komme ich schnell ins Schwitzen.
So richtig motiviert sind wir heute alle nicht. Wir treten und treten und kommen kaum voran. Diego ist sich seiner Sache nicht mehr ganz so sicher. In einem besonders frustrierenden Moment ärgert er sich „Wenn ich nicht so ein Dickkopf wäre und mir Lyon als Ziel vorgenommen hätte, dann wäre ich schon längst auf dem Weg zum nächsten Bahnhof!“.
Ich muss lachen. „Wenn ich nicht so ein Dickkopf wäre“, den Spruch kenne ich. Genau so habe ich gebrüllt in der Rhön, als wir unsere ersten 250 Meter hochradelten: „Beim nächsten Dorf mit Bahnhof nehme ich den Zug an die Donau!“ Zum Glück kam nie ein Bahnhof. Ich wäre vermutlich dennoch zu stolz und dickköpfig gewesen, um einzusteigen.
Der Tag zieht sich wie warmes Kaugummi und als wir endlich Valence erreichen sind wir doch ziemlich geschafft. Es wird Zeit für ein F1 mit Gemeinschaftsdusche. Das haben wir uns verdient. Gesagt, getan. Das warme Zimmer wirkt Wunder und bald sind wir alle wieder guter Dinge.
Uns erwartet ein weiterer kalter Tag. Nach einem Frühstück im Motel machen wir uns spät auf den Weg. Der Wind bläst kaum noch, wir kommen gut voran und ehe wir uns versehen, sind die ersten 20, 30, 40 Kilometer abgeradelt. Das beste Mittel gegen die Kälte ist wohlbekannterweise: nicht anhalten.
Bei 40 halten wir dennoch im Dörfchen Saint Vallier. Dort gönnen wir uns ein kleines Festmahl. Ich ziehe mich um und lege meine nassgeschwitzten Klamotten auf die Heizung. Dadurch haben wir die hinteren paar Tische ganz für uns. Besitzer Salvatore kommt aus Italien und spricht neben italienisch auch spanisch, französisch und deutsch. Er kocht uns die drei Tagesgerichte und wir können gar nicht genug kriegen.
Keine 30 Kilometer später machen wir Feierabend. Im Supermarkt kaufen wir ein weiteres Festmahl ein, weit ist es nicht mehr bis Lyon und da Diego sich dort von uns verabschieden wird, nehmen wir das als Ausrede, um allerlei französische Köstlichkeiten einzukaufen.
Eine nette Dame, die uns den Weg zum Supermarkt zeigte, schenkt uns noch eine Flasche Wein. Was für ein Glück! Wir radeln zu einem Picknick Platz am Flussufer und schlüpfen in unsere dicksten Klamotten. Heute schlemmen wir heißen Camembert, Baguette, Lachs-Quiche, Mandarinen und Kekse. Dazu gibt es diesmal zwei Flaschen Wein, denn Diego hatte zuvor schon eine ausgewählt. Ziemlich heiter geht es heute in die Federn.
Der letzte Tag zu dritt zieht sich nochmal. 44 Kilometer sollten es eigentlich werden, aber leider endet die Via Rhôna plötzlich und wir finden uns in einem matschigen Waldstück wieder und fahren einige Umwege. Statt der 698 Kilometer die google angibt, haben wir seit Barcelona 830 gemacht.
Gar nicht schlecht für Diegos erste Radreise! Im Stadtzentrum von Lyon fallen wir uns in die Arme. Es ist geschafft. Zumindest für Diego. Wir haben noch eineinhalb Länder vor uns. Das schaffen wir nie! Also gehen wir mit Diego zum Bahnhof und kaufen ein Busticket in den Nordosten des Landes.
Wir verbringen die Nächte bei Didier und Nadège und ihren beiden süßen Kindern. Die beiden (also die Erwachsenen) sind Geologen und haben sich während Nadèges Aufenthalt in Afghanistan kennen gelernt. Sie war währenddessen in Schweden und bearbeite seine zugesandten Wasserproben. Man weiß ja nie wie es im Leben läuft und wer einem alles begegnet.
Nun wohnen sie schon einige Jahre in Lyon. Didier arbeitet Vollzeit und Nadège Teilzeit, so hat er mehr Zeit für die Kinder. Wir verstehen uns blendend. Ihre letzten Ferien haben die vier mit einer Wanderung mit zwei niedlichen Packeseln verbracht, weil Tochter Soazic nicht so auf Radfahren steht. Als ich die Bilder von den vier strahlenden Menschen und zwei Eseln in einem kleinen Fluss im Schatten sehe, kann ich mir keinen perfekteren Familienurlaub vorstellen.
Wir bleiben ein paar Tage und besuchen Soazics Schule, wo wir unsere erste Präsentation auf französisch halten. Gut dass die Kids uns immer wieder mit dem Vokabular auf die Sprünge helfen.
Dann wird es Zeit uns von Diego zu verabschieden. Er fährt in wenigen Stunden im TGV die 830 Kilometer lange Strecke zurück.
Es waren zwei großartige Wochen zu dritt und er wird uns fehlen. Für uns geht es jetzt in den Endspurt. Wir hoffen weiterhin, dem schlimmsten Winter davonradeln zu können. Ob uns das wirklich gelingt, das könnt ihr im nächsten Blog lesen.
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