Mit dem Rad durch Australien Teil 2: Heimatgefühle in der Dorfkneipe

 

Music Festival Music in the Park in Bruthen

Music in the Park in Bruthen

 

Land: Australien

Von Paradise Beach bis Cann River

Draus gelernt: Fragen kostet nichts

Drüber gelacht: Der Internet-Vogel

Schönstes kleines Wunder: Ein gratis Mantel für Robertos Reifen

Gegessen: Antipasti, Tomaten, Lebkuchen, Zaziki, Trauben, Schokolade und Käse

Größte Herausforderung: Ein paar Hügelchen

Geradelte Tage: 4

Geradelte Kilometer: 287,95

Insgesamt bis Cann River geradelte Kilometer: 16165,42

Reisetage von Bremen bis Cann River: 861

Januar 2014, Mit dem Rad durch Australien

Richtig ausgeruht machen wir uns am nächsten Tag auf den Weg. Aufgeweckt werden wir wieder von etwa 1000 Vögeln. Manche kreischen, andere brüllen, einige klappern und hier und da vernimmt man auch ein schüchternes Gezwitscher. Einer klingt sogar wie das Rauschen beim Anschalten der Internetverbindung in den 90ern. Am besten gefallen mir die kunterbunten Papageienarten.

In Golden Beach halten wir für eine weitere Duschpause. 4 $ kosten 5 Minuten, Münzen müssen passend eingeworfen werden. Ist sehr praktisch, so können die Gratis-Zelter selbst entscheiden, wie viel ihnen eine heiße Dusche wert ist. Beim letzten Mal haben 5 Minuten für uns beide gereicht und auch diesmal versuchen wir es. Kaum ist das Geld eingeworfen spritzt eiskaltes Wasser aus dem Duschkopf. Irgendein Depp hat den Kaltwasserhahn voll aufgedreht. Nun klemmt er und lässt sich nicht schließen, egal wie viel ich dran rüttle. Roberto muss kommen und irgendwann schafft er es, den Hahn zuzudrehen, dann klickt es und kein Tropfen Wasser kommt mehr aus dem Hahn. Die 5 Minuten sind um. Ich muss im Handtuch zum Laden staksen und unter aller Leute Augen weitere 4 $ wechseln.

Ein neuer Reifen für Roberto!

Ein neuer Reifen für Roberto!

Gegen den Wind radeln wir bis nach Sale, die erste richtige Stadt unterwegs. Dort gibt es sowohl einen Fahrradladen für Roberto als auch einen Aldi für mich. Robertos hinterer Mantel bekommt Risse und der Besitzer des Landes hat doch tatsächlich noch einen gebrauchten 28er Mantel über, den er uns schenkt. Ich schmirgle zur Sicherheit noch einmal die Felge glatt, damit den neuen Mantel nicht das gleiche Schicksal erwartet, dann geht es ab zum Aldi.

Ausbeute im Aldi

Viel zu viel für die Packtaschen: hungrig in den Aldi ist nie eine gute Idee.

Wir kaufen alles, wonach es uns in den letzten Tagen gelächzt hat: Antipasti, Tomaten, Lebkuchen, Zaziki, Trauben, Schokolade und Käse füllen einen Karton und wir essen nicht einmal die Hälfte gleich auf. Weiter geht es gegen den Wind. Auf dem Weg nach Bairnsdale soll wieder ein Rastplatz am Highway liegen, auf dem wir zelten können. Der Verkehr ist recht stark aber der Seitenstreifen breit und durchgängig. Nach wenigen Kilometern steht ein bis über beide Ohren grinsender Radler im Weg. Uli heißt er, und kommt aus Regensburg. Er ist schon seit November unterwegs und freut sich, endlich mal wieder Deutsch reden zu können. Uli ist perfekt durchtrainiert. In den 80ern ist er regelmäßig Radrennen gefahren und auch hier macht er zwischen 120 und 200 Kilometern am Tag. Er beschließt, spontan umzudrehen und die letzten 14 Kilometer zum Providence Ponds Rastplatz mit uns zurückzufahren.

Uli aus Regensburg ist ein schneller Radler

Uli ist perfekt vorbereitet

Uli quatscht die halbe Nacht und wir lauschen den vielen schönen, gefährlichen, lustigen und interessanten Geschichten die er zu erzählen hat, während wir alle seine Fotos ansehen.

Am nächsten Morgen quatschen wir uns natürlich wieder fest und kommen erst spät los. Dafür fahren wir gleich 36 Kilometer bis nach Bairnsdale durch, wo wir ausgiebig frühstücken.

Kurz hinter Bairnsdale auf dem Rail Trail

Kurz hinter Bairnsdale auf dem East Gippsland Rail Trail

Seit Melbourne waren wir nicht online und während wir in der Bibliothek endlich unsere Mails lesen, merken wir: uns läuft ein wenig die Zeit davon. Wir müssten entweder sehr stramm radeln oder dürfen uns keine Ruhetage mehr erlauben wenn wir es rechtzeitig eine Woche vor Abflug nach Sydney schaffen wollen. Doch es gibt unterwegs so viel zu sehen! Wir überlegen nicht lange und ändern online unsere Flugtickets. Nun können wir gemütlich weiter fahren und auch mal Stopps einlegen.

Wir bleiben so lange in Bairnsdale dass wir die letzten 30 Kilometer nach Bruthen nur noch mit Ach und Krach vor Sonnenuntergang schaffen. Es ist schade, dass wir so hetzen müssen, denn ab Bairnsdale verläuft der knapp 100 Kilometer lange East Gippsland Rail Trail mitten durch die Natur.

Australischer Baum bei Sonnenuntergang

Bei Sonnenuntergang erreichen wir Bruthen

Kurz vor dem kleinen Ort Bruthen (keine 1000 Einwohner) fragen wir einen netten Polizisten nach dem Weg zum Campingplatz, den wir dann auch schnell finden. Eine halbe Stunde später kommt er persönlich um nachzusehen, ob wir alles gefunden haben und zwei Stunden später treffen wir ihn erneut im Pub.

Der Pub (Kneipe) erinnert mich stark an zu Hause: jeder kennt jeden mit Ausnahme von gelegentlichen Touristen, die anfangs neugierig beäugt aber erst kurz vor Aufbruch angesprochen werden. Es werden Strichlisten geführt und die Musik ist ein netter Mischmasch, der niemanden stört, aber auch niemandem wirklich gefällt. Die Damen an der Bar haben ihre Frisur seit den frühen 80ern nicht geändert und an der Wand hängt eine kleine Tafel, an der dem neuen Trainer der Fußballmannschaft und seiner „Bitch“ (seinem Helferlein, nett gesagt) zum neuen Posten gratuliert wird. Doch eines gibt es, was uns zu Hause nie einfallen würde: einen pubeigenen Minibus, mit dem die Besucher bei Feierabend nach Hause gefahren werden. Klasse Idee! Unser Fußweg dauert kaum 5 Minuten, doch da zwei andere Gäste ebenfalls in unsere Richtung gebracht werden wollen, steigen wir, die beiden Gäste, die Dame von der Bar und ihr schlabbernder Hund in den Bus.

Unsere lieben Nachbarn laden uns ein, sie auf ihrem Sommerzeltplatz zu besuchen.

Unsere lieben Nachbarn laden uns ein, sie auf ihrem Sommerzeltplatz zu besuchen.

Am nächsten Morgen schlafen wir aus. Unsere Zeltnachbarn machen sich startklar, sie wollen nach Thurra River, in den Jahresurlaub. Wir freunden uns schnell mit der Familie an und sie laden uns ein, sie auf ihrem Stellplatz zu besuchen, sie wollen drei Wochen lang bleiben.

Wir verabschieden uns und laufen dann ein paar Meter zum Fluss herunter, in dem schon ein paar Kinder und Jugendliche baden. Das Wasser ist frisch und die Abkühlung tut uns gut. Wir hätten unseren Ruhetag kaum besser wählen können, denn Wally, der Verwalter des Campingplatzes, organisiert für heute ein Musikfestival der kleinen Art. Ein paar Sänger und Bands aus der Gegend spielen Blues, Folk, Jazz, Country und ein bisschen Rock auf einer kleinen Bühne die Wally und seine Freunde am Morgen schnell aufgebaut haben.

Dazu kommen knapp 30 Gäste. Der Eintritt ist frei und wir nutzen den großen Grill aus und schlemmen nicht schlecht, während der erste Musiker ständig seinen Text vergisst und von vor anfängt. Dann tritt die Köchin des Bairnsdaler Restaurants „Le House of Yum“ auf und zweigt den Besuchern, wie man vietnamesische Frühlingsrollen selbst zubereitet. Die zweite Sängerin ist erst 12 Jahre alt und hat zwei Lieder selbst geschrieben. Darauf folgt ein Mundharmonikaworkshop für die Kinder, an dem aber nur ein Erwachsener teilnimmt, weil die wenigen Kinder mit Hula Hoop beschäftigt sind und anschließend spielt eine eher düstere Band mit einem exotischen schweizer Klanginstrument.

Music in the park Bruthen

Das Music in the park Festival in Bruthen soll den Sommer über regelmäßig stattfinden.

Die Besucher haben sich ihre eigenen Picknickdecken und Klappstühle mitgebracht, Wally schenkt Bier und Wein aus (auch wir bekommen unsere Portion ab, da wir die einzigen Campinggäste sind, die sich dazugesellen) und gegen Ende, als Wally sich selbst auf die Bühne setzt und mit den anderen improvisiert, neigt sich der Biervorrat dem Ende und die Stimmung dem Hochpunkt. Als wir in Richtung Zelt wackeln, kennen wir das halbe Dorf. Der Polizist war heute ausnahmsweise nicht da.

Hoola Hoop

Roberto gegen die Tochter der Besitzerin des “Le Yum”. Sie gewinnt haushoch.

Ich kann mich kaum vom Campingplatz losreißen, den Wally mit so viel Liebe zum Detail aufgebaut hat. Neben dem urigen hölzernen Küchenhaus mit Kamin wachsen zur einen Seite Erdbeeren und zur anderen liegt ein Kräuterbeet, das jeder mitbenutzen darf. Die Wäscheleine ist mit Klammern bestückt, es gibt 3 Grills: 2 für Fleisch und einen für Vegetarier, in der Küche summt der CD-Spieler und die Besucher können sich durch eine Auswahl von Wallys Lieblingsstücken hören und alle seine Bücher lesen. Auf den Toiletten gibt es Bambusstühle und Zeitschriften für den Fall dass mal jemand warten muss und an den Wänden hängen Bilder von der lokalen Künstlerin Marg Pearson, die die Stimmung in der kleinen Stadt wunderbar eingefangen hat.

Marg Pearson verkauft ihre Kunst auf http://www.redbubble.com/people/margpearson/

Marg Pearson verkauft ihre Kunst auf http://www.redbubble.com/people/margpearson/

Wir kaufen uns im Zentrum noch eine kleine Brotzeit und wundern uns nicht schlecht über das rege Treiben in der kleinen Stadt. Die Straßen sind über und über gefüllt mit großen Autos, die Anhänger mit Booten ziehen, Kanus auf dem Dach geladen haben, Fährräder hinter dem Kofferraum angebunden haben oder Wohnwagen schleppen. Das Café und das kleine Restaurant sind proppevoll und in der Bäckerei reicht die Schlange bis auf den Fußweg. Bruthen liegt an der Kreuzung zwischen der Küstenstraße und der alpinen Bergstraße und lädt einfach zum Anhalten ein.

Eine einmalige Erfahrung: Music in the Park in Bruthen, Victoria, Australien

Eine einmalige Erfahrung: Music in the Park in Bruthen, Victoria, Australien

Wir ziehen am späten Vormittag endlich weiter. Seit unserem Strandtag sind Regen und Kälte vergessen, es ist heiß und auf der kräftige Gegenwind kühlt die Luft nicht wirklich ab. Der Rail Trail hält was er verspricht: wir radeln mutterseelenallein mitten durch die Natur und hören nur Vogelgeschrei und Gehoppel. Im Dörfchen Nowa Nowa machen wir wieder halt, erkunden den See, lernen die Besitzer des Ladens kennen und schon geht es weiter. Wir radeln unter mehreren alten Eisenbahnbrücken hindurch, die zu morsch sind, um sie zu benutzen. Dann wieder das Gehoppel und irgendwann bewegt sich etwas Braunes am Horizont. Erst als wir näher kommen, erkennen wir, dass wir auf ein kleines Känguru gestoßen sind. Im Laufe des Nachmittags sollten wir noch 11 weitere sehen, eines davon springt Roberto fast in die Speichen und wir erschrecken nicht schlecht.

Newmerella bike

An Radler ist man hier gewöhnt

In Newmerella, einige Kilometer vor Ende des Railtrails, steuern wir den Rastplatz an. Ein großartiger Platz zum zelten solle das sein, so schwärmten die Einwohner der umliegenden Dörfer ebenso wie der Campingguide für gratis Campingplätze, den wir abfotografiert haben. Es soll Toiletten geben, Trinkwasser und Tische. Das stimmt auch, doch außerdem gibt es sechs große rote Schilder, auf denen in Großbuchstaben steht: „Camping verboten“. Was sollen wir nun tun? Der Campingplatz in der nächsten Stadt Orbost soll hoch überteuert sein und weiter schaffen wir es vor Sonnenuntergang nicht, zumal wir in Orbost dringend einen Supermarkt ansteuern müssen. Wir radeln langsam immer weiter, bis wir am Ende eines Feldes ein Haus entdecken. Fragen kostet ja nichts, also radeln wir spontan darauf zu.

Stony Creek Trestle Bridge

Die Stony Creek Trestle Bridge ist uralt (für australische Verhältnisse) und hält nicht einmal mehr ein paar bepackte Reiseradler aus. Wir radeln also drunter durch.

Das Haus sieht sehr heruntergekommen aus und ich will Roberto schon fragen, ob wir umdrehen sollen, als ein Hund uns entdeckt und bellt. Kurz darauf kommt folgt der Besitzer: ein braungebrannter Mann Mitte 50 mit rotem wuscheligem Bart, Karohemd und ohne Schuhe. Er stellt sich als Tyler vor (ich verstehe allerdings immer Tiger) und lässt uns gerne zelten. Es ist schon dunkel als das Zelt steht und das Nudelwasser blubbert. Tyler und seine Frau Liz werden neugierig und gemeinsam mit Hund Pepper gesellen sie sich zu uns und wir unterhalten uns.

Der East Gippsland Rail Trail

Der East Gippsland Rail Trail

Die beiden mieten das Haus, das schon ganze 110 Jahre auf dem Buckel hat und drei sehr hohe und unzählige kleinere Überschwemmungen überlebt hat. Die Felder drumherum gehören dem Vermieter und Tyler arbeitet auf einer anderen Milchfarm ganz in der Nähe, während Liz im Gemeindehaus ihr Geld verdient. Das ganze Gelände wird vom mäandrierenden Snowy River umkreist, der der Grund für die vielen Überschwemmungen ist, ihnen aber auch einen Sandstrand direkt im Garten und jede Menge Fisch bietet.

Wir besuchen Liz am nächsten Morgen im Gemeindehaus und erkunden die hübsche kleine Stadt. Es gibt so viel zu sehen, dass wir es wohl noch einen zweiten Tag hätten aushalten können, aber wir haben eine Verabredung mit unserem Warmshowers Gastgeber Thomas, 80 Kilometer weiter östlich. Als wir uns endlich auf den Weg machen, knallt die Mittagssonne uns auf die Buckel. 35°C lese ich im Schatten. Kein Wunder dass der Schweiß in Bächen fließt.

Der Rail Trail führt durch von Buschfeuer beschädigte Wälder und Sumpflandschaft

Der Rail Trail führt durch von Buschfeuer beschädigte Wälder und Sumpflandschaft

Zunächst umgeben uns Felder, dann umrunden wir einen Berg. Es wird steil und hügelig, dann bergig. Was wir zum Glück noch nicht wissen: die steilen Hügel würden uns fast komplett bis Sydney begleiten. Bald weichen die Felder Bäumen und binnen kürzester Zeit finden wir uns inmitten von Regenwald wieder. Nach dem ersten langen Anstieg – wir kämpfen uns mit knapp 7 km/h hoch – machen wir Pause auf einem schön gelegenen Rastplatz und erschnorren uns etwas Trinkwasser, denn Bergauf haben wir alle Vorräte ausgetrunken. Die Berge werden immer länger aber zum Glück ist der Verkehr ruhig und mehr als die Hälfte der Strecke verfügt über einen Seitenstreifen. Ein paar Kilometer geht es bergauf und dann innerhalb von wenigen Minuten mit knapp 50 km/h wieder bergab. Auf einem der Sättel steht ein Schild: wir befinden uns auf 260 Metern über dem Meeresspiegel. Ich bin völlig baff. Wir haben scheinbar jede Bergkondition verloren, denn ich war felsenfest davon überzeugt, dass wir mindestens 500, wenn nicht 800 Höhenmeter aufgestiegen sind. Die Beine zittern und die Mägen knurren, aber wir müssen uns beeilen. Als wir Cann River schlussendlich erreichen, dämmert es schon. Thomas wartet bereits auf uns (wir haben ihn von unterwegs informiert, wo wir stecken) und auf dem kuschligen Teppich rollen wir die Isomatten gar nicht erst aus. Zehn Tage lang haben wir ohne Wände und Dach übernachtet und heute schlafen wir die Könige.

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