Mit dem Fahrrad durch Sumatra Teil 3: Dreizehn Kilometer in Sieben Stunden

Dirty feet

Erst ging es durch Matsch, dann durch Regenwasser und dann wieder durch Wasser und meine Zehen blieben wochenlang rotbraun.

Mit dem Fahrrad durch Sumatra Teil 3: Dreizehn Kilometer in Sieben Stunden

Land:  Indonesien

Von Dusun Sungay Limau nach Pulau Kijang

Draus gelernt: Flusswasser ist auch gekocht nicht zum Verzehr geeignet

Drüber gelacht: Zwei verdreckte Ausländer die mit Räucherstäbchen wedelnd durch den Regenwald staksen

Schönstes kleines Wunder: Eine Notfallration getrockneter Früchte

Gegessen: Einen Anisstern, Bananen-Frühlingsrollen und viel Reis

Größte Herausforderung: Matsch und Mücken

Geradelte Tage: 1 (mehr geschoben als geradelt)

Geradelte Kilometer: 12,94

Insgesamt bis Pulau Kijang geradelte Kilometer: 13968,85

Reisetage von Bremen bis Pulau Kijang : 801

Dezember 2013: Mit dem Fahrrad durch Sumatra.

Der Fußboden ist gemütlicher als er aussieht und ich schaffe es, bis um 3 Uhr morgens durchzuschlafen. Dann fangen die Hähne unterm Haus und in den Nachbarhöfen an, einen Krähwettbeweb auszutragen. Es ist ein enges Rennen und der Wettbewerb dauert bis um 6 Uhr, wenn auch die Menschen aufstehen. Die kleineren Kinder gehen auf der anderen Flussseite zur Schule und auch die Mutter will hinüber fahren. Montags ist Markttag. Sie wirft sich in Schale und setzt sogar ein Kopftuch auf. Wir haben als mickriges Gastgeschenk nur ein paar Instantsuppen auftreiben können und die bekommen wir gleich als Frühstück vorgesetzt.

Bike path in Sumatra

Wir radeln auf einem fast perfekten Radweg ab in den Regenwald.

Das kleine Boot hat genug Platz für beide Räder, alle Taschen und mehrere Passagiere. Nach einer kurzen Überfahrt erreichen wir am anderen Ufer einen betonierten Steg. Ich kann mein Glück kaum fassen.

Auf dem Markt gibt es jede Menge Gemüse, Fisch und etwas Fleisch. Wir sparen uns den Einkauf. Nach zehn Kilometern werden wir Pulau Kijang erreichen, dort soll es sogar Straßen geben. Statt die gute Zeit mit Einkaufen und Kochen zu vertrödeln machen wir uns lieber gleich auf den Weg.

Auf dem Markt werden wir von allen Seiten angeglotzt. Die Kinder gaffen, aber grüßen nicht zurück, die Erwachsenen rufen uns Worte hinterher, die wir nicht verstehen und kichern dann.

Forest bicycle path in Sumatra

Wir können uns wirklich nicht beschweren. Die Erde ist fahrbar und der Schatten hält uns kühl.

Wir folgen froher Dinge dem betonierten Weg in den Wald. Aus Beton wird Holz, aus Holz wird Sand, aus Sand wird Erde und aus Erde wird Erdmatsch mit Pfützen. Na toll. Der Weg führt uns an einem schmalen schwarzen Kanal entlang durch tiefen Wald und uns umschwirren etwa eine Million Mücken. Die Hälfte davon sticht zu während ich anhalte, um die langen Hosenbeine herauszukramen. Ausgerechnet jetzt haben wir keine Mückencreme mehr! Ich finde nur ein Hosenbein und eine zerbröckelte Mückenspirale. Wir nehmen uns jeder ein Stück, zünden es an und laufen herum wie weihrauchwedelnde Pfarrer, in der Hoffnung, dass der Rauch uns umgibt, bevor auch die andere halbe Million Mücken uns attackiert.

When we left the forest, the sun hit us hard.

Kaum verlassen wir den Wald, knallt die Sonne auf uns herab.

Wie ein kaputter Roboter zucke ich mit dem ganzen Körper und schüttle alle Gliedmaßen von mir, wobei ich um ein Haar in den schwarzen Kanal falle, da sich ein großer Erdbrocken unter mir löst. Ich gebe auf. Die Mücken sind in der Überzahl, sie gewinnen. Ich kann nur hoffen, dass keiner meiner Gegner Malaria oder Denguefieber trägt (edit: wir hatten es zum Glück mit gesunden Mücken zu tun).

Links und rechts sehen wir Unterholz und Baumstämme, ab und zu lugt ein Haus durch die Blätter. Der Weg ist idyllisch schön, doch wirklich genießen können wir ihn nicht, während wir bis auf die Hälfte der Wade in einer Mischung aus Ziegenmist und Matsch einsinken.

El Camino en medio de la Jungla

Der Weg ist idyllisch und teilweise können wir sogar radeln. 

Nach einer Weile wird der Wald lichter und der Weg breiter, doch die Matschepampe bleibt. Die Mücken verziehen sich, ihnen knallt die Sonne zu stark. Uns auch. Doch wir müssen weiter. Nur selten treffen wir auf Menschen. Dafür entdecken wir ein paar Affen, jede Menge Ziegen und einige Hühner. Die wenigen Passanten sind zumeist Schulkinder, die vorsichtig auf Abstand bleiben und uns dabei zusehen, wie wir Dreck aus den Schutzblechen pulen, ausrasten, fluchen und krampfhaft Räder schieben, deren Reifen sich nicht drehen. Mittags knallt die Sonne noch viel schlimmer. Sie treibt uns den Schweiß aus den Poren, doch die Pfützen kann sie noch nicht verkleinern. Teils müssen wir alle 20 mühsam durch Matsch gehievten Meter anhalten und Dreck wegkratzen. Unsere Stimmung ist auf dem absoluten Tiefpunkt und wir tun das dämlichste, was man in solch einer Situation tun kann: wir streiten.

We were not too happy about our situation and began to argue with each other

Wir haben furchtbare Laune und fangen an, zu streiten.

Während wir da stehen und uns gegenseitig die Schuld für irgendeine Nichtigkeit in die Schuhe schieben (zum Glück diesmal ohne Zuschauer),  bekomme ich einen Schwindelanfall und muss mich setzen. Roberto bietet mir den letzten Schluck Wasser an. Ich lehne ab. Wer weiß, wann wir das nächste Mal Wasser auftreiben können. Der Wasserfilter liegt gemeinsam mit Mütze, Handschuhen und ein paar Büchern in einer Kiste bei Apit in Malaysia. Ich dachte nicht, dass wir den so bald gebrauchen würden. Ich lege das Rad ins Gras und verzweifle.

Roberto setzt sich zu mir. Schatten gibt es keinen, der Wald ist endgültig einer Mischung aus Savanne und Tümpeln gewichen. Irgendwann kommt ein Mann auf uns zu. Er hat Werkzeug und einen angespitzten Holzstock für uns dabei. Zum ersten Mal bietet uns jemand Hilfe an. Wir sind ihm sehr dankbar und pumpen ihn bei der Gelegenheit gleich um Wasser an.

I wish I had a mountain bike.

Was gäbe ich nicht alles für ein Mountainbike.

Eine Stunde kämpfen wir uns noch durch, dann machen wir Pause unter ein paar Bäumen und essen die absolute Notfallration: eine Tüte getrocknete Pflaumen die Mirjam uns in Malaysia mitgegeben hat. Dazu trinken wir ein Tütchen Elektrolyte, die wir noch aus Thailand haben. Ich wusste gleich, dass es eine gute Idee ist, die aufzusparen.

Nach der Pause geht es uns besser und auch der Weg ist etwas einfacher. Über manche der dicksten Pfützen hat jemand Gestrüpp und Äste gelegt, sodass wir nicht mehr ganz so tief einsinken. Als wir eine richtige Brücke entdecken wissen wir, dass es nicht mehr weit sein kann. Hinter der Brücke erwarten uns kleine Betoninseln, die nach und nach zu einem teils betonierten Weg werden. Wir steigen auf. Die Bremsen kann ich nicht schließen, dazu klebt zu viel fester Schlamm in den Reifen. Also rolle ich langsam. Die Stadt ist langweilig und nicht gerade schön, doch uns kommt sie vor wie ein kleines Paradies, denn es gibt Läden, Straßenstände und sogar ein Hotel. Für die knapp 13 Kilometer waren wir sieben Stunden unterwegs, 2 ½ davon waren reine Fahrzeit, den Rest haben wir mit Dreck kratzen verbracht.

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There are also advantages of cycling through Sumatra during rainy season: beautiful views like this one.

Ein Gutes hat die Regenzeit: solche Landschaften hätten wir sonst verpasst.

Wir haben die Wahl zwischen einem Zimmer mit Ventilator und Gemeinschaftsbad für 50.000 Rupiah (knapp 3 €) oder einem mit eigenem Bad und Klimaanlage für 100.000 Rupiah (knapp 6 €). Wir entscheiden uns für die Luxusvariante, nicht zuletzt, weil wir die Vermutung haben, dass die Nudelsuppe am Morgen mit Maden-Wasser aus dem Fluss gekocht wurde. Alleine wegen des Privatklos lohnt sich die Investition. Nach einer Stunde sind alle Nudeln wieder draußen und unsere Gedärme beruhigen sich langsam.

Wir verstauen unser schlammiges Hab und Gut und strampeln zur nächsten Autowaschanlage. Für eine Stadt ohne Autos ist dort ziemlich viel Betrieb, denn jede Menge Mofas wollen mit dem Hochdruckwasserstrahl abgespritzt werden. Wir stellen uns an und genießen die Schönheitskur unserer treuen Stahlrösser fast so sehr wie die eigene Dusche.

Indonesian car wash

Wir sind die Hauptattraktion der Stadt

Der Besitzer der Waschanlage hilft uns noch dabei, die Schutzbleche wieder anzubringen. 10.000 Rupiah (0,60 €) sollen wir für das ganze Programm und für beide Räder zahlen. Während des Reinigungsprozesses versammeln sich mehr und mehr Kinder um uns. Am Ende steht eine ganze Menschentraube mit respektvollem Abstand um die Waschanlage versammelt. Man macht Fotos, kichert und die Kinder schleppen immer mehr Zuschauer an. Riidha, ein vierzehnjähriges Mädchen spricht als einzige Englisch. Sie und ihre Lehrerin Riska zeigen uns ein Restaurant, in dem wir uns endlich satt essen können. 4,18 € kostet das. In den letzten beiden Tagen haben wir insgesamt nur ein paar Cents mehr ausgegeben. Wo es keine Geschäfte gibt, da kann man auch nicht viel Geld lassen. Riidha will uns ihren Eltern vorstellen und wir verabreden uns um 19 Uhr bei uns am Hotel. So haben wir noch 3 Stunden Zeit, um unsere völlig verdreckten Beine und Arme abzuschrubben, ein bisschen Schlaf nachzuholen, zu schreiben und etwas Wäsche zu waschen.

Indonesian traditional dinner

Riidhas Familie setzt und leckeres Essen vor, aber vor lauter grinsen und posen kommen wir kaum zu kauen. Von links nach rechts: Riidhas Vater, Annika, Riddhas Mutter, Roberto, Riska und Riidha.

Die Zimmernummer rauszugeben war nicht gerade unsere cleverste Idee, denn immerzu klopft es fortan an der Tür. „Hello Mister“, ruft dann jemand draußen. Alle wollen uns kennen lernen und mit uns Fotos machen. Ich bin völlig platt und grinse irgendwann nur noch halbherzig in die Kamera.

Eine halbe Stunde lang klopft und ruft niemand. Ich döse gerade ein, da stehen Riidha und Riska vor der Tür. Eine halbe Stunde zu früh. Ob wir denn Moped fahren können, fragt Riidha. Nein. Macht nichts. Ich setze mich hinter Riska, Roberto nimmt auf Riidhas Moped Platz und gemeinsam rattern wir den holprigen Weg entlang. Matsch gibt es zwar kaum noch, doch der Anteil an Schlaglöchern ist größer als der an Beton.

Riidhas Mutter hat gekocht. Vier Teller stehen stellt sie auf den Boden, für Roberto, Riska, Riidhas Vater und mich. Im Raum sind etwa 10 Personen, alle anderen quetschen sich in den Türrahmen. Sie essen nicht. Noch während wir uns die Teller auffüllen zücken Riidhas Geschwister, Onkel, Tanten, Nachbarn, Cousins, Taekwondo-Schüler und Freunde ihre Handys und Kameras. Ich grinse mit vollem Mund, bis ich auf einen Anisstern beiße. Der Geschmack breitet sich im ganzen Mund aus. Der Stern zerfällt in mehrere kleine Teile. Wie kann ich die unauffällig loswerden? Runterschlucken ist ausgeschlossen, da würde ich ja tagelang mit Anisgeschmack aufstoßen. Vor laufenden Kameras die einzelnen Teile aus dem Mund zu pulen geht auch nicht. Mehrere Fotos lang behalte ich den Anisstern im Mund, bis Roberto die Aufmerksamkeit kurz auf sich zieht. Ich nutze den kurzen Moment ohne auf mich gerichtete Kameras sofort aus und werde die Anisteile los.

Dinner at Riidha's place.

Riidha und ihre Freunde, Nachbarn und Familie.

Dauerhaft im Mittelpunkt zu stehen ist nicht so leicht wie es klingt. Will man sich mal am Hintern kratzen, pupsen, etwas ausspucken oder einfach eine Runde schlafen, dann muss das vorher ausgiebig geplant werden.

Als wir fertig sind werden noch mehr Fotos gemacht, dann geht es weiter zu Riskas Familie. Anderes Haus, gleiches Spiel. Es gibt Süßigkeiten, Kaffee und Fotos. Auch ein paar Freunde von der Polizei kommen. Sie verhalten sich etwas staksig und fragen uns dann nach unseren Pässen, die ich zufällig sogar dabei habe. Eine Weile rede ich mir ein, dass sie nur neugierig auf die Stempel, Visa und Fotos sind, doch sie nehmen die Pässe mit zum kopieren und blättern dann durch mein Notizbuch. Ich finde die Situation unangenehm, schon allein, weil wir auch Privates wie alle Ausgaben und finanzielle Statistiken darin sammeln, aber lasse mir nichts anmerken. Als das Notizbuch zufällig wieder in meine Richtung wandert, stecke ich es schnell ein.

It was really really wet.

Der Tag war wirklich nicht leicht

Riskas Onkel fragt mich nach meinem Namen. „Und das da?“, fragt er dann und deutet auf Roberto. „Das da“ findet das gar nicht so höflich und stellt sich selbst vor. Dann unterhalten sich die beiden doch noch ganz gut und der Onkel erklärt mir den Weg nach Pekanbaru, die Hauptstadt des Bundestaats Riau. Wir wollen nicht unhöflich sein, doch wir schlafen fast im sitzen ein. Riska und Riidha fahren uns zurück und ich falle ins Bett. Fünf Minuten später klopft es. „Hello Miss! Miss! Miiiiiss!“. Vier Jugendliche stehen vor der Tür. Sie haben sich herausgeputzt und Bananen-Frühlingsrollen mitgebracht. Nun wollen sie Fotos machen. Zehn Minuten unterhalten wir uns mit Hilfe des google Übersetzers, dann entschuldige ich mich. Ich kann einfach nicht mehr.

 

Willst du ein paar Kilo abnehmen, eine neue Sprache lernen, deine Füße mit einer natürlichen Schlammpackung verwöhnen und dazu jede Menge neue Leute treffen? Dann schnapp’ dir dein Rad und besuche Sumatras Regenwälder!

 

 

 

 

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  1. Super Beitrag und tolle Schreibe. Macht weiter so! 🙂

    • admin says:

      Hallo Valentin,
      vielen Dank für die lieben Worte! In zehn Minuten ist dann auch Teil 4 online!
      Viele Grüße,
      Annika

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