Mit dem Fahrrad durch Sichuan
Xi’an, Die Hauptstadt der Provinz Shaanxi ist bekannt für die nahegelegene Terrakotta Armee, deren Bau vor über 2000 Jahren begonnen hat. Nach der langen Bustour sind wir überglücklich, endlich wieder unsere Gelenke nutzen zu können und laufen neben der Terrakotta Armee auch gleich die halbe Stadt ab. Weil wir unsere Räder so vermissen (sie sind in der Zwischenzeit in Chengdu am Bahnhof angekommen), mieten wir uns ein Tandem und touren durch Xi’an.
Dezember 2012, Von Xi’an nach Emei Shan
Plötzlich fühlen wir uns richtig in China. Ich kann nach Monaten in Zentralasien langsam kein Hammelfleisch mehr sehen und stürze mich in die chinesischen Köstlichkeiten. Straßenstände gibt es genug und die Auswahl ist riesig. Jeden Tag entdecken wir etwas Neues: Omelette mit Frühlingszwiebeln, Burrito mit brauner Soße und krosser Füllung, gebratenes, gedünstetes und gekochtes Fleisch und Gemüse am Spieß. Dazu gebratene Nudeln und Reis und Suppen in allen Variationen. Mein Favorit ist frittierter Blumenkohl und Lauch mit Speck. Ich bin mir sicher, dass wir die verlorenen Kilos bald wieder auf den Rippen haben werden.
Wir besuchen einen taoistischen und einen buddhistischen Tempel und kommen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. So viele Farben, Details, Figuren, gebogene Hausdächer, dann der Duft der Räucherstäbchen und die Mönche überall. Ich könnte den ganzen Tag in den ruhigen Tempeln verbringen.
Nach einer knappen Woche steigen wir in den Schlafzug nach Chengdu. 16 Stunden dauert die Reise, die längste Zugfahrt meines Lebens kommt mir plötzlich ganz kurz vor. „Das ist ja nur eine einzige Nacht!“, freue ich mich. Noch im letzten Jahr war eine Reise durch halb Deutschland ein besonderes Ereignis und eine lange Tour. Mein Maßstab für eine „kurze“ Fahrt ändert sich.
Am Bahnhof sammeln wir als erstes die Räder ein. Sie sind von oben bis unten eingestaubt aber erstaunlicherweise komplett heile. Zum Glück. Chengdu ist mit über 10 Millionen Einwohnern eine von den mittelgroßen chinesischen Städten. Dhane, unser Gastgeber wohnt im südlichen Teil der Stadt. Von seiner Wohnung bis ins Zentrum dauert es auf dem Rad eine Stunde.
Die 15 Kilometer lange Fahrt ist komplett mit Fahrradwegen, Radampeln, Fahrradparkplätzen und allem was das Radlerherz begehrt ausgestattet. Wir fühlen uns wie im Paradies. Es geht zwar etwas chaotisch zu, aber was macht das schon?
Auch Chengdu wird zu einer längeren Station von 1 ½ Wochen, denn wir fahren in die Nachbarstadt um unsere Visa zu verlängern und halten an zwei internationalen und einer chinesischen Schule sowie in einer Bücherei Vorträge über soziales Mitgefühl beim Radreisen.
Dank Marco Merten vom deutschen Generalkonsulat stellen wir den Kontakt zu drei Schulen und einer Bücherrei / Restaurant her. Am QSI sprechen wir zu einer großen Gruppe 14 bis 17-jähriger Schüler aus China und dem Ausland. Ihr Unterricht läuft komplett aus Englisch und wir brauchen uns nicht mit den wenigen chinesischen Worten zu blamieren. An der Eton Schule halten wir eine Präsentation mit vielen Rätseln und Mitmachaktionen für dien Jüngsten und neugierigesten Schüler. Auch sie kommen teils aus China und teils aus verschiedenen anderen Ländern und sprechen in der Schule nur Englisch. “Wenn ihr so viel zeltet, wie duscht ihr dann?” so clevere Fragen gibt es nur von den Kleinsten an der Eton Schule
An der Experimentalschulehaben wir eine zehnte und zwölfte rein chinesische Klasse vor uns sitzen. Sie alle sprechen fließend Deutsch, denn sie haben intensiven Deutschunterricht, der sie auf ein Studium in einem deutschsprachigen Land vorbereitet. Ein Mädchen plant selbst eine eigene Radtour, ist sich aber unsicher, ob sie wirklich den Mut dazu hat. Ich hoffe, wir konnten sie motivieren und ihr zeigen, dass man kein Athlet, Mechaniker, Fremdsprachentalent oder Verrückter sein muss, um sich aufs Rad zu setzen und ein paar Tage lang zu fahren.
Neben unseren Vorträgen besuchen wir auch ein paar Sehenswürdigkeitemn wie das Sichuan Szience and Technology Museum (scheint die 70er Jahre Version des ARS Electronic Center in Linz, zu sein) und die Pandaaufzuchtsstation. Bei unserer Visaverlängerung im nahen Leshan besuchen wir außerdem die weltgrößte Buddhastatue.
Kurz vor Weihnachten brechen wir auf – ab nach Emei Shan! Der Emei Shan ist einer der vier heiligen buddhistischen Berge und wird im Sichuan Dialekt Ömei Sen ausgesprochen. Aus der Stadt herauszukommen dauert über einen Tag. Wir wohnen zwar am Südende und wollen auch gen Süden fahren, aber irgendwie wollen die Hochhäuser und Geschäfte nicht weniger werden.
Nach nur 65 geradelten Kilometern entdecken wir die ersten Felder und verbringen die erste Nacht unterwegs bei einem netten Bauern. Unser Bilderbuch mit der Zeichnung von „Zelt“ und „Nacht“ hilft uns nicht weiter, aber meine krakelig abgemalten chinesischen Schriftzeichen schon. Statt im Garten zu zelten dürfen wir in einem leeren Raum auf dem Boden übernachten.
Ein paar Nachbarn kommen vorbei, um die Ausländer zu begutachten und alle essen wir zusammen zu Abend. Es gibt gekochten Kohl und eine Wurzelart, scharfes Schwein mit Bohnen und kaltes Schwein. Wir legen die Knochen in den Schalen vor uns ab und ernten gleich verwunderte Blicke. In Deutschland versucht jeder seinen Essbereich möglichst sauber zu behalten, doch in China ist das anders. Hier landet alles auf dem Tisch oder besser noch auf dem Fußboden: Knorpel, Knochen, Servietten, Spucke und Zigarrenkippen. Letztere Häufen sich besonders schnell, denn während des Essens raucht jeder Mann vier Zigaretten.
Wir haben so oft auf Betten, Matratzen und Sofas übernachtet, dass ich schon befürchte, wir könnten auf dem blanken Boden nicht einschlafen – doch ich irre mich gründlich denn ich schlafe wie eine Prinzessin.
Am nächsten Morgen geht es früh weiter. Gut, dass wir uns in Bischkek Licht für die Räder zugelegt haben! Nun können wir endlich das ländliche China genießen! Wir kaufen spottbillige frisch gepflückte Mandarinen und bestaunen Bambuswälder am Straßenrand. Aus der zweispurigen Straße wird eine Einspurige und der starke Verkehr lässt nach. Unterwegs kochen wir kaum, denn die vielen Garküchen bieten günstig gebratenen Reis und Nudeln mit Gemüse und / oder Fleisch.
Wir brauchen den ganzen Tag bis zum Hotel, das wir uns ausnahmsweise für den Heiligabend schon vorgebucht haben. Als wir ankommen haben wir mehr als 100 Kilometer auf dem Tacho und stellen fest, dass es gar keine Gemeinschaftsküche gibt. Damit fällt unser Weihnachtsfestessen leider aus – gut dass wir noch keine Zutaten gekauft haben. In unserem kleinen Trangia Campingkocher sind unsere Möglichkeiten beschränkt. Statt Gans oder Ente gibt es eben Schweinefleisch mit Erdnüssen und süß-saures Gemüse mit Reis aus dem Restaurant. Tagsüber haben wir schon die leckersten Bratnudeln genossen.
Über die Weihnachtsfeiertage und den 27.12. wandern wir den Emei Shan hinauf. Es geht vorbei an buddhistischen Tempeln, frechen Affen (einer attackiert Roberto, um seine Wasserflasche zu stehlen), verschneiten Bambuswäldern und überteuerten Imbissen. Über endlose Treppenstufen wandern wir von knapp 500 auf 3077 Höhenmeter. Der Weg ist zwar anstrengend aber auch wunderschön. Wir werden am dritten Tag mit dem einem Ausblick belohnt, der schöner ist, als wir es uns hätten wünschen können.
Wir bleiben weitere zwei Nächte im gemütlichen Hotel im Tal, waschen und trocknen die Wäsche und kochen für das ganze Personal Pfannkuchen mit Schattenmorellen, die Marco und Helena uns mitgegeben haben.
Ich würde mich auch gerne mal quer durch die chinesische Küche essen…! Neid 😉
Hey Florian!
Das glaube ich dir. Jeden Tag chinesisches Essen ist großartig! Aber es wäre auch nicht schlecht, wenn man vorher wüsste, was man bekommt. Selbst wenn wir in der Küche auf Brokkoli, Nudeln und Tofu deuten, weiß man nie, ob wir drei oder ein Gerichte bekommen, Suppe, gebraten, frittiert, mit anderen Zutaten, scharf oder nicht. Bisher waren aber fast alle Überraschungen lecker. Nur der eingeschweißte gelbe Hühnerfuß war nicht so ganz mein Ding, aber den haben wir auch nicht bestellt. 😀
Annika
Liebe Annika, lieber Roberto
Zuerst einmal liebe Grüsse aus Bad Bederkesa
Es ist schon bewundernswert und faszinierend, wie weit ihr gekommen seid und was ihr alles durchsteht und erlebt!
Ich würde auch gern einmal einen Radurlaub machen, aber natürlich nicht so extrem wie ihr es macht.
Aber ihr werdet ja auch dafür mit vielen Eindrücken, dem kennen lernen neuer Menschen und der weiten Welt und vielen anderen Dingen belohnt.
Klar, es wird auch nicht so schöne Dinge, wie z.B. die Kälte geben, aber die gehören wohl auch dazu.
Ich bewundere euren Mut und euren Ehrgeiz.
Alles Gute, gute Reise und schöne Tage wünsche ich Dir Annika und auch Dir Roberto
Gruß Hartmut Hinck Bederkesa