Ab nach Neuseeland: Kleiderschrank statt Packtaschen

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Christchurch's Cardboard Cathedral

Christchurchs Karton-Kathedrale

Ab nach Neuseeland: Kleiderschrank statt Packtaschen

Land: Australien und Neuseeland

Von Sydney bis Christchurch

Draus gelernt: Keine Panik wenn mal ein Gepäckstück fehlt. Wird schon alles gut.

Drüber gelacht: Alan, der gerne durch die Küche tanzt.

Schönstes kleines Wunder: ein Kleiderschrank und eine Kommode statt 12 Packtaschen

Gegessen: Selbstgekochte Spezialitäten, Burger, Cocktails, Obst, Cocktailtomaten

Größte Herausforderung: Das Gepäck noch weiter zu reduzieren.

Geradelte Tage: ½ Nacht

Geradelte Kilometer: 16,4

Insgesamt bis Christchurch geradelte Kilometer: 16814,47

Reisetage von Bremen bis Christchurch: 889

 

Die Zeit in Sydney vergeht wie im Flug. Der typische strahlend blaue Himmel lässt sich zwar kaum blicken, doch das macht uns nicht viel aus. Wir waren schon verwöhnt genug vom Badewetter auf dem Weg nach Sydney.

Mark and Chrissie

Mark und Chrissie

Um nach Neuseeland einzureisen, müssen wir wieder alles putzen: Zelt, Schuhe, Räder und Packtaschen. Erde oder gar Pflanzensamen sind unerwünscht. Wir erledigen alle Arbeit noch vor dem Abflugstag und nutzen diesen stattdessen zum Aussortieren unseres gesamten Gepäcks. 40 Kilo ist das Maximum das die Fluggesellschaft Jetstar pro Person zulässt. Das schließt auch das Sportgepäck mit ein. Alleine die Räder und ihre Kartons (ebenfalls vorgeschrieben bei Jetstar) wiegen mehr als 40 Kilos. Dazu kommen 55 Kilo Gepäck, die wir normalerweise mit uns herumschleppen. Ich schätze nun auf etwas mehr, da wir einiges an Büchern und Kleidung geschenkt bekommen haben. Laut meiner Rechnungen haben wir ohne Räder gemeinsam 27,4 Kilo frei plus je 10 Kilo Handgepäck. Wir sind also etwa zehn Kilo zu schwer. Wir schicken nach langem Sortieren ein gut 5 Kilo schweres Paket nach Kitzingen, schenken Mark und Chrissie jede Menge Ausrüstung, die uns nicht mehr absolut notwendig vorkommt und ich ziehe kurzerhand all meine Kleidung an. Was ich am Körper trage ist ja schließlich kein Gepäck.

A mummy at the airport

Mumie am Flughafen

Wie eine Mumie laufe ich durch den Flughafen und schwitze dabei nicht schlecht. Ich bin dicker angezogen, als auf der Fährfahrt nach Sumatra und in jeder Jacken- und Hosentasche steckt ein schweres handliches Gepäckstück.

Am Schalter klappt alles wie am Schnürchen. Wir sind sogar ein oder zwei Kilo unter dem Limit. Der Flug ist nicht besonders bequem aber dafür war er billig. Angekommen rast mein Herz. Werden sie uns nach unserer Krankenversicherung fragen? Brauchen wir Rückflugtickets? Wird es Probleme mit unseren Pässen geben oder mit dem Ausdruck unserer Visa? Und ist unser Gepäck sauber genug? Auf dem Flughafen blöken die Schafe aus jeder menge Lautsprechern, dazu laufen wir durch Gänge voller Poster der Landschaft. Es gibt so viel zu sehen!

Bicycle in damaged bike box at the airport

Der Traum eines jeden Radreisenden und der Grund warum wir die Räder lieber fahren, als sie in Boxen mit uns herumzuschleppen

Die Passkontrolle geht schnell. Zu schnell. „Tourist?“ fragt die Beamtin uns. „Working Holiday“, grinse ich und schiebe unsere Papiere zu ihr. „Oh!“ freut sie sich, wirft einen flüchtigen Blick in unsere E-Visa und schon saust der Stempel in den Pass. Die Beamtin hinter ihr erschrickt, winkt ihre Kollegin zu sich und die beiden tuscheln eine Weile, dann werden weitere Stempel hervorgekramt. „Du“, sie deutet auf Roberto, „kommst mal mit mir mit während du“, nun blickt sie zu mir, „schonmal das Gepäck holst und dann triffst du uns wieder hier. Verstanden?“

Bike assembly area at Christchurch Airport

Fahrradzusammenbauecke! Großartig.

Irgendwas lief da wohl falsch. Immerhin sind unsere Räder schon da. Doch was ist das? Robertos Radkarton ist komplett zerfetzt. Hier lugt der Lenker heraus, da klafft ein großes Loch. Mein Karton ist noch ganz. Zwei Flughafenangestellte werfen mir mitleidige Blicke zu. Ich mache zur Sicherheit ein paar Fotos vom zerfledderten Karton, dann helfen die beiden mir, ihn vom Laufband herunterzuhieven. Zwei Taschen fische ich vom anderen Laufband, aber auf den Reiserucksack muss ich warten. Und warten. Und warten. Irgendwann kreist nur noch ein kleiner Koffer, dann wird das Laufband abgeschaltet. Es ist morgens um zwei und außer dem Personal ist nur ein weiterer Passagier in der Halle. Auch er vermisst seinen Koffer und ich stelle mich an, um auch unseren Rucksack als vermisst anzugeben.

Abgerissenes Ventil

Auch das noch!

In der Wartezeit besuche ich Roberto, der sich am Stempelschalter die Beine in den Bauch steht. Die Beamtin hat den falschen Stempel erwischt und mir ein Touristenvisum eingestempelt. Über diesem Stempel trocknet nun ein zweiter: in roten Großbuchstaben steht da UNGÜLTIG und daneben kommt ein dritter Stempel, auf dem nur Einreise steht. Na toll. Wie soll ich das bei zukünftigen Grenzkontrollen erklären? Die werden doch denken, dass man mir die Einreise verweigert oder mich aus dem Land rausgeworfen hat! Aber zunächst habe ich andere Sorgen.

Der Rucksack ist nicht da, wir bekommen eine Telefonnummer, da sollen wir in den nächsten Tagen anrufen. Und was Robertos Rad angeht, das scheint auf den ersten Blick unversehrt.

Ich habe ein schlechtes Gewissen, denn ich kann mir vorstellen, dass das halbe Personal nun endlich Feierabend machen will und nur noch auf uns wartet. Die anderen Fluggäste liegen bestimmt schon lange in ihren Betten.

Die Kontrolle nach Erde, Tierprodukten und Pflanzenprodukten verläuft schnell, wir zeigen unsere blitzeblanken Schuhsohlen vor und dürfen dann recht bald weiterziehen.

Eine weitere Angestellte zeigt uns den Weg durch die Halle zur „Bike-Assembly-Area“, einem Bereich mit Fahrradhaken und ein paar Geräten, der speziell für Radler gemacht ist, die ihre Räder auseinander- oder zusammenbauen müssen. Während wir da so stehen und basteln, gesellen sich zwei Polizisten zu uns und wir quatschen über all die wunderbaren Orte, die wir unbedingt besuchen sollen.

Free bike tools in Christchurch City Centre

Da hätte uns selbst dieses öffentliche Multitool nicht mehr geholfen

Es ging so ziemlich alles schief, was schief gehen konnte, und obwohl es mittlerweile vier Uhr morgens ist, sind wir sind beide erstaunlich guter Dinge und freuen uns auf Christchurch. Als die Räder zusammengebaut sind (eines der Werkzeuge steckt leider im großen Rucksack, daher können wir nur provisorisch arbeiten) schwingen wir uns auf die Sättel und halten am ersten offenen Restaurant – dem McDonalds. Dort können wir nämlich mit Kreditkarte zahlen. Neuseeländische Dollars stehen ganz oben auf unserer To-Do Liste. Als wir weiter wollen ist Robertos Reifen platt. Roberto verflucht schon die Airline, doch dann entdecken wir, dass wir selbst Schuld sind, denn wir haben die leeren Reifen aufgepumpt, ohne darauf zu achten, ob der Schlauch gut im Mantel sitzt. Dadurch hat sich das Ventil verschoben und ist nun abgerissen. Einen Ersatzschlauch haben wir aus Platzspargründen nicht dabei und auf den nackten Felgen und dem schönen Mantel kann Roberto auch nicht radeln, also müssen wir sechs Kilometer schieben. Es ist frisch und als wir unsere Bleibe erreichen färbt sich der Himmel schon etwas rötlich.

Besuch des Japan Tages in Christchurch. Anne liebt solche kulturellen Veranstaltungen genauso wie wir

Besuch des Japan Tages in Christchurch. Anne liebt solche kulturellen Veranstaltungen genauso wie wir

Vor knapp zwei Jahren haben wir in Georgien Robin kennen gelernt (witzige Geschichte), der aus Christchurch kommt und uns seine Heimatstadt wärmstens ans Herz gelegt hatte. „Ihr müsst unbedingt meine Familie kennen lernen“, sagte er damals. Das war der Grund, warum wir überhaupt Christchurch in Erwägung gezogen haben.

Robins Mutter Anne hat den Schlüssel für uns versteckt und kaum sind wir drinnen, kommt sie uns auch schon entgegen. Anne redet wie ein Wasserfall, sie hat sich schon auf uns gefreut. Die Ähnlichkeit zwischen ihr und ihrem Sohn ist enorm und wir haben das Gefühl, Robin selbst vor uns sitzen zu haben. Lange halten wir jedoch nicht aus, dann fallen wir in die Federn.

Cookie Monster Cake

Robertos 31. Geburtstag

Anne ist eine extrem hilfsbereite Frau. Mit ihren 75 Jahren kümmert sie sich rührend um ihre 90-jährige Nachbarin und zeigt uns alle Second-Hand Kleiderläden, den Eco-Shop, in dem brauchbarer Sperrmüll billig verkauft wird, und günstige Bäckereien, Gemüseläden, den Sonntagsflohmarkt und die Bibliothek. Jeden Morgen geht sie zur Wassergymnastik und ins Fitnessstudio und nebenher ist sie aktiv in einem Buchklub, einem Filmklub, einem Theater-leseklub und diversen anderen Aktivitäten. Nach beiden großen Erdbeben hat sie die Nachbarn versorgt, dicke Kleidung und Bettdecken gespendet und sich selbst ganz hinten angestellt. „Viele andere Leute hatten wochenlang keinen Strom, da konnte ich mit ein paar Rissen in den Wänden auch ein bisschen auf die Reparatur warten“. Anne ist eine großartige Köchin und hat ihre Kindheit und Jugend in Afrika verbracht. Der Redestoff wird uns wohl nie ausgehen.

Robertos Geburtstagsessen. Leider regnet es drei Tage ununterbrochen durch, daher können wir nicht auf der Terrasse sitzen.

Robertos Geburtstagsessen. Leider regnet es drei Tage ununterbrochen durch, daher können wir nicht auf der Terrasse sitzen.

Nach ein paar Tagen taucht dann auch der Rucksack auf und wir fühlen uns komplett und beginnen mit dem Papierkram. Wir brauchen eine Steuernummer, eine Bankkarte, eine Bibliothekskarte und vieles mehr. Dann drucken wir ein paar Lebensläufe aus und laufen damit durch die Stadt. Abends mixen wir Cocktails und quatschen mit Anne. Es dauert nicht lange da haben wir eine Bleibe und zwei Jobs gefunden. Roberto arbeitet nun bei Kathmandu, dem größten Outdoorgeschäft des Landes, in dem er Zelte, Wanderschuhe, Schlafsäcke und Windjacken verkauft. Ich habe einen Job bei Hachi Hachi, einem japanischen Restaurant mit Sushi und heißen Speisen, gefunden.

Nach Feierabend wird das geklimper ausgeschaltet und wir machen unsere eigene Musik zum Putzen an

Nach Feierabend wird das geklimper ausgeschaltet und wir machen unsere eigene Musik zum Putzen an

Als Zweitjob arbeite ich in der Outlet-Filiale von Kathmandu. Wir ziehen bei Alan ein, einem extrem sauberen 56-jährigen Kiwi (so nennen sich die Neuseeländer selbst), der sich schon auf das WG-Leben mit uns freut. Alan ist Tischler, der sich aufs Holz drehen spezialisiert hat. Er liebt Burger, Hotdogs, Autos und schwingt seinen knallgelben Vokuhila gerne zu Country und klassischer Rock Musik tanzend durch die Küche. Seine große Leidenschaft sind jedoch Motorräder und in den 90ern hat er mehrere Motorradrennen gewonnen.

Der Dienstags-Dinner-Club

Der Dienstags-Dinner-Club

Im Wohnzimmer hängen 14 Fotos von ihm und seinem Motorrad, vier Fotos von seinem Wohnzimmer nach den Erdbeben und nur ein Foto mit ihm und einem anderen Menschen drauf. Im Garten zieht Alan die leckersten Cocktailtomaten die ich je probiert habe. Seine Tochter und die 16-jährige Enkelin leben zwei Stadtviertel weiter.

Wir melden uns beim Tanzklub der Uni an, kaufen auf dem Flohmarkt, beim neuseeländischen Ebay und im Eco-Store ein paar Möbelstücke und etwas Kleidung und freunden uns schnell mit einem mexikanischen Paar an, das in der Nähe wohnt.

Lalo und Fabi wohnen auch in Cristchurch und werden bald zu festen Mitgliedern des Dienstags-Kochwettbewerbs

Lalo und Fabi wohnen auch in Cristchurch und werden bald zu festen Mitgliedern des Dienstags-Kochwettbewerbs

Nach knapp 1 ½ Monaten sind wir im Alltag angekommen. Wir kochen mit verschiedenen Gewürzen, duschen mit großen Shampoo-Flaschen, hängen Kleidung im Schrank auf und waschen Wäsche wann auch immer das Wetter es zulässt. Nur unsere Isomatten, die auf dem Teppichboden liegen und uns als provisorisches Bett dienen, erinnern uns noch daran, dass wir bis vor kurzem einen ganz anderen Lebensstil geführt haben. Doch nach wenigen Wochen werden auch die gegen ein richtiges Bett ausgetauscht.

Unser provisorisches Zimmerchen hat vier Wände und ein Dach. Wir fühlen uns pudelwohl.

Unser provisorisches Zimmerchen hat vier Wände und ein Dach. Wir fühlen uns pudelwohl.

Die Räder können ein wenig entspannen. Sie sind zwar unsere einzigen Fortbewegungsmittel, aber in einer Stadt mit 340.000 Einwohnern haben wir alles was wir brauchen in der Nähe.

Die Arbeit macht Spaß und der aufkommende Winter kommt uns mit einem festen Dach überm Kopf nun gar nicht mehr bedrohlich vor. Ein Jahr lang wollen wir hier bleiben, dann werden wir die Insel mit dem Rad erkunden.

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